Interview: Hannah El-Hitami
Wie sind Sie zum Film gekommen?
Ich wurde Filmemacher, weil ich sehr schlecht in Mathe war. Ich hörte, dass man kein Mathe können muss, um Kunst zu studieren. Ich bewarb mich also an der Filmschule und wurde angenommen. Anfangs war ich mir unsicher, ob mich das überhaupt interessiert. Dann merkte ich, dass viele meiner Kommilitonen sehr homophob waren und dass sie ihre Meinung änderten, nachdem ich ihnen queere Filme zeigte. Nach ein paar Jahren erkannte ich, dass man mit Filmen Menschen auf ästhetische Weise erreichen – und einander näherbringen kann. Deshalb entschied ich mich, aktivistische Filme zu drehen.
Welchen Herausforderungen sehen sich Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans- und Intergeschlechtliche in China gegenüber?
Lesben sind als Homosexuelle und als Frauen in der Gesellschaft marginalisiert, sie führen also einen doppelten Kampf. Für schwule Männer stellen HIV und Aids eine große Bedrohung dar. Bisexuelle wiederum werden gar nicht wahrgenommen, weder von der Mehrheitsgesellschaft noch von der LGBTICommunity. Transgeschlechtliche erfahren sowohl in der Familie als auch am Arbeitsplatz Diskriminierung, und Intergeschlechtliche sind in China völlig unsichtbar.
In China ist es verboten, homosexuelle Beziehungen positiv in den Medien darzustellen. Wie kann es da sein, dass in Peking seit 2001 das Queer Film Festival stattfindet?
Das System hat viele Risse, in denen man sich ausbreiten kann. Und das Queer Film Festival spielt Jahr für Jahr ein Katz-und-Maus-Spiel mit den Behörden: Die Organisator_innen müssen schlaue Umwege finden, um die Veranstaltung zu bewerben, ohne dass es bedrohlich wirkt. Fast immer in den vergangenen zehn Jahren wurden Aktivitäten im letzten Moment gestoppt, weil es Probleme gab. Manchmal mussten die Veranstaltungsorte gewechselt und die Filme an versteckten Orten gezeigt werden. Es ist schade, denn dadurch werden Kräfte gebunden, die eigentlich für die Filme und die Gäste gebraucht werden. Doch es berührt mich sehr, dass meine Freunde und Kolleg_innen trotz allem weitermachen.
Führen diese Einschränkungen nicht zu Selbstzensur?
Wir hören oft aus der LGBTI-Community: Schwulenfilme zu zeigen ist illegal, wisst ihr nicht, dass das verboten ist? Aber was sollen wir tun? Niemand wird diese Filme freiwillig legalisieren. Ich habe Freunde, die auf schwarzen Listen der Behörden stehen und überwacht werden. Sie werden deshalb zu bestimmten Veranstaltungen nicht mehr eingeladen. Das ist auch eine Art von Selbstzensur. Ich verstehe die Kritik. Denn wir wurden in China dazu erzogen, die Finger von der Politik zu lassen, da das gefährlich sei. Das hat dazu geführt, dass Menschen sich nicht einmischen wollen, sondern sich lieber verstecken.
Wie gehen die Behörden vor, um Veranstaltungen zu stören?
Indem sie nicht mit uns direkt sprechen, sondern mit den Besitzer_innen der Veranstaltungsorte. Das sind Geschäftsleute, die Angst vor den Behörden haben und die unter Druck gesetzt werden, sie nicht mehr zu vermieten. Seit zwei Jahren findet das Festival im Institut Français statt. Dort ist es relativ sicher, aber auch darauf kann man sich nicht verlassen.
In einem Ihrer Filme stellen Sie ein Fotoshooting mit zwei Bräutigamen und zwei Bräuten auf einem öffentlichen Platz nach. Wie reagieren Passant_innen auf solche Szenen?
Meist freundlich, manche wünschen den Paaren sogar alles Gute. Aber wenn wir sie dann fragen, was sie fühlen würden, wenn Mitglieder ihrer eigenen Familie homosexuell wären, sprechen sich viele dagegen aus. Das hat mich dazu inspiriert, die Filme »Mama Rainbow« und »Papa Rainbow« zu machen, in denen es um die Eltern von Homosexuellen geht.
Warum spielen Eltern eine so zentrale Rolle in Ihren Filmen?
Die Familie ist in ostasiatischen Ländern sehr wichtig. Nach dem konfuzianischen Glauben steht ihr Erhalt ganz oben in der Werteordnung – weshalb auch der Fortpflanzung in chinesischen Beziehungen viel Bedeutung beigemessen wird. Nicht nur Homosexuellen, sondern auch Ehepaaren, die keine Kinder haben möchten, bereitet diese Haltung Probleme. Zugleich wächst die Akzeptanz: So habe ich mit vielen Menschen gesprochen, die meine Filme ihren Eltern gezeigt haben. Sie berichten, ihren Eltern sei es danach leichter gefallen, die Homosexualität ihrer Kinder zu verstehen, weil sie in den Filmen andere Eltern sahen, die diese akzeptierten. Sie sahen, dass Homosexualität in der chinesischen Gesellschaft existiert.
Das Problem ist oft Unwissen?
Ja. Im Fernsehen und in anderen Medien sind Homosexuelle nicht zu sehen; Homosexualität wurde ja erst 1979 entkriminalisiert. Unsere Eltern wuchsen also mit null Informationen über LGBTI auf. Oder sie haben nur ein paar wenige Informationen aus den Medien, die LGBTI stigmatisieren.
Mit welchen Vorurteilen sind Sie in Deutschland konfrontiert?
Ich werde häufig nicht gefragt, wie die Situation für Queere und Homosexuelle in China ist, sondern direkt, ob sie schlimm ist. Dabei hat jede Situation viele verschiedene Ebenen – wie ein Film. Wenn man fragt, ob ein Film gut oder schlecht war, lässt sich das auch nicht in einem Wort zusammenfassen. Doch vielen fehlt die Geduld, länger zuzuhören. Und Filmfestivals in Europa zeigen oft nur LGBTI-Filme aus China, die Tragödien sind. Einen ostasiatischen Queer-Film mit Happy End sieht man hingegen fast nie. Dabei hat sich die Situation schon sehr verbessert. Aber das will das westliche Publikum nicht sehen.
Wird Ihr neuer Film ein Happy End haben?
Es wird eine Mischung aus fröhlich und traurig. Ich bin ja nicht gegen Tragödien generell, aber die Auswahl sollte schon etwas diverser sein. Deshalb brauchen wir auch queere Komödien aus Regionen wie Ostasien.