Amnesty International – Foto-Essay
Es ist kein Geheimnis, dass Brasilien ernsthafte Probleme mit Diskriminierung hat. Letztes Jahr wurden 320 Menschen bei homophoben und transphoben Angriffen ermordet, wobei nicht zu vergessen ist, dass weitere 71,5 Prozent der jährlich getöteten Menschen entweder schwarz oder gemischtrassig sind. Tragischerweise weist das Land die weltweit höchste Rate an trans- und genderspezifischen Morden auf.
Jair Bolsonaro, der Präsident des Landes, zusammen mit der Regierung, richten sich nicht nur ausdrücklich gegen die arme und schwarze Bevölkerung, sondern er ist auch dafür bekannt, dass er häufig homophobe Äußerungen macht (die deutlichste erfolgte in 2011). Und bei all dem Chaos, das um sie herum herrscht, ist es für LGBTI-Gruppen schwierig, sich in der Gesellschaft akzeptiert zu fühlen. Während der brasilianische Oberste Gerichtshof kürzlich für die Kriminalisierung von Transphobie und Homophobie gestimmt hat, scheinen sich die Ideologien langsam zu ändern, doch nach wie vor sind Maßnahmen an der Basis erforderlich.
Das Kunstkollektiv Afrobapho wurde von Alan Costa gegründet und ist eine Gemeinschaft, die Netzwerke für Menschen an der Schnittstelle zwischen Rasse, Gender und Sexualität schafft. "In der LGBTI-Bewegung wird nur ungern diskutiert, wie schwarze Körper hypersexualisiert und als Objekte angesehen werden", sagt Costa. "Die Gewalt, die wir erleben, ist sowohl physisch als auch symbolisch alarmierend. Unser Ziel ist es, das Selbstwertgefühl der vielen LGBTI und Schwarzen Menschen in Brasilien zu stärken."
"Wir fangen an, Menschen aufzuklären und durch Fotoshootings ein neues Publikum zu erreichen, wobei das Problem der Intersektionalität (d.h. die Überschneidung verschiedener Diskriminierungsformen in einer Person, Anm. des Übersetzers) deutlich gemacht wird. Wir erreichen auch diejenigen, die nicht über Live-Interventionen in der Stadt auf das Internet zugreifen können. Wir veranstalten Modenschauen in den Straßen von Salvador und tragen, was wir wollen mit dem Ziel, mit unserem Körper die Aufmerksamkeit auf Bereiche lenken, die uns nicht wollen. Wir verwenden auch die künstlerische Sprache, um einen Dialog zu schaffen, damit die Menschen mehr über uns lernen können."
Auf Fotografien, die Shona Hamilton mit freundlicher Genehmigung von Amnesty International zur Verfügung gestellt hat, berichten Mitglieder von Afrobapho über ihre LGBTI Erfahrungen in Brasilien sowie über ihre Gedanken bezüglich der Kraft der Selbstdarstellung und des Kampfes für Gleichberechtigung.
Alan, 28
"Ein schwarzer, schwuler Mann zu sein, hat mein Leben bestimmt. Brasilien ist voller Rassismus und Heimat der weltweit höchsten Quote an trans- und genderspezifischen Mordfällen. Da schwarze Körper die meiste Gewalt erfahren, ist es unmöglich, nicht über Intersektionalität zu sprechen. In der LGBTI-Bewegung wird jedoch nur ungern diskutiert, wie wir hypersexualisiert und als Objekte betrachtet werden."
"Afrobapho will diese Wahrnehmungen in Frage stellen. Wir wollen unsere Präsenz in einer Gesellschaft, zu der wir gehören wollen, sichtbar und hörbar machen. Unsere Arbeit fordert die Wahrnehmung heraus. Ja, die Menschen empfinden unsere Maßnahmen als gewalttätig, insbesondere mit unseren Trikots, dem Make-up und unseren Frisuren und der ganzen ästhetischen Performance, aber wir bitten sie nur, uns so anzusehen, wie wir sind. Wir wollen uns vor niemandem verstecken - wir wollen akzeptiert werden. Wir sind menschliche Wesen und unsere Körper sind real. Wir sind Teil einer längeren Geschichte. Wir sehen Menschen wie Marielle Franco, die grausam ermordet wurde, weil sie sich offen äußerte. Trotz aller Schmerzen hat sie uns durch ihre unglaublichen Handlungen inspiriert. Wir wollen unsere Körper lebendig sehen, in Aktion, um Veränderung zu erreichen. Wir tun dies nicht nur für uns selbst, wir tun es für zukünftige Generationen. "
Carolina, 24
"Als schwarze, pansexuelle Frau, die an der Peripherie geboren wurde, habe ich mich an so vielen Orten unwohl gefühlt. Obwohl ich gut ausgebildet bin, bezweifeln die Leute immer noch meine Fähigkeiten."
"Ich habe diese Gefühle als Motivation genutzt. Heute bin ich ein DJ und Tänzerin, Teil des Afrobapho-Kollektivs. Es ist eine Künstlergruppe von Schwarzen für Schwarze Menschen, die darauf ausgerichtet ist, ein Einkommen zu erzielen. Sie hat mir klar gemacht, dass ich mehr sein kann als ein DJ , ich kann ein Model sein, ich kann ein Bezugspunkt für andere junge Mädchen aus Gegenden wie meiner sein, die von mehr träumen können, als die Gesellschaft ihnen sagt."
"Akzeptanz und Inklusion bedeuten, dass man einen Raum einnehmen kann, in dem man willkommen geheißen und umarmt wird. Es ist ein Gefühl, überall, wo man sich befindet, zu Hause zu sein - so fühle ich mich mit Afrobapho."
Elivan, 27
"Als schwuler, schwarzer Mann ist Akzeptanz schwer zu bekommen. Ich bin an der Peripherie aufgewachsen. Menschen wie ich waren nicht in Berufen oder öffentlichen Einrichtungen präsent. Meine Art, sich anzuziehen, wurde weder thematisiert noch geschätzt, unsere Art zu leben wurde nicht akzeptiert oder unterstützt."
"Wir brauchten ein Netzwerk, um uns daran zu erinnern, dass wir das Recht haben zu sein, wer wir sind. Das Kollektiv Afrobapho bietet einen Raum, in dem ich Tänzer_in und Choreograf_in werden und meinen Körper als politisches Instrument nutzen konnte, um Weiblichkeit, Eleganz und Sinnlichkeit zu fördern."
"Es ist eine Gelegenheit, uns endlich in der Kunst und den Medien zu sehen und zu beweisen, dass alle Körper - schwarz, fett, dünn, behindert oder tätowiert - akzeptiert und einbezogen werden müssen. Ich erinnere mich jeden Tag daran, dass ich ein Mensch bin und das Recht habe, ein würdiges Leben zu leben, eine Familie zu haben und in einer liebevollen Beziehung zu sein. Ich habe es verdient, akzeptiert und einbezogen zu werden."
Lucas, 18
"Ich wurde zu einer Aktivistin, als ich feststellte, dass ich eine weibliche schwule Person bin. Als ich mich outete, war es eine schwierige Zeit. Jetzt lasse ich die Menschen sagen, was sie an meiner Identität mögen, solange sie dies mit Respekt und mit einer nicht homophoben Einstellung machen."
"Ich habe vor kurzem mein Abitur gemacht und verfolge meinen Traum, Choreografin und Tänzerin zu werden - Vogue Femme ist mein Ding. So bin ich Teil von Afrobapho geworden. Ich habe neue Leute kennengelernt und neue Dinge erlebt. Wo ich mich gerade in meinem Leben befinde, hat sich wirklich gerade verändert - das ist also positiv."
"Ich habe gelernt, mich so zu akzeptieren, wie ich bin. Menschenrechte sind etwas, das garantiert werden sollte, sobald man das Haus verlässt. Wenn ich mit einem Trikot weg gehe, sollte ich mich sicher fühlen. Inklusion kann jedoch schwieriger sein als Akzeptanz. Für für mich bedeutet es, an Orte zu gehen, an denen ich nicht erwünscht bin, und dort zu bleiben, weil es mein Recht ist. "
Malayka, 27
"Salvador ist eine Stadt, die im Kolonialismus verwurzelt ist. Wir arbeiten in einem System, das Schwarze Menschen tötet, kriminalisiert und verletzt. Es ist schwer, damit umzugehen. Jeden Tag erleben wir physische und institutionelle Gewalt. Ich bin von einem Wachmann in einem Club geschlagen worden. Ich bin in eine Bank gegangen und die Türen wurden hinter mir verschlossen. Ich bin in einen Bus gestiegen und die Leute haben mich angeschaut, als ob ich sie ausrauben wollte."
"Manchmal möchte ich nicht nach draußen gehen, weil ich mit diesen Barrieren nicht konfrontiert sein möchte, aber gleichzeitig weiß ich, dass ich diese Ideen in Frage stellen muss. Meine Genderidentität ist fließend. Ich habe keine Lust, mich in einem binären Gendersystem wiederzufinden. Am liebsten drücke ich mich durch performative Kunst aus. Das heißt, ich kann Ideen verzerren und eine Gesellschaft schaffen, in der ich frei sein kann."
"Meine Drag-Persönlichkeit spiegelt diese Idee wider - sie ist eine Ansammlung von Monstrositäten, eine Widerspiegelung der abfälligen Namen, die mir gegeben wurden. Ziel ist es, diese Spannung zu erzeugen und das Gegenteil von diesen Monstrositäten zu bewirken. Durch Afrobapho kann ich mit Menschen sprechen, die die gleichen Probleme erfahren, wie ich. Es ist ein Ort der Inklusion, wo man mir zuhört."
Neftara, 21
"Ich wusste, dass ich anders war, als ich sechs Jahre alt war. Ich mochte Jungen und Mädchen. Als ich groß wurde, fing ich an, diesen Teil von mir selbst zu verstecken."
"Als ich zur High School kam, traf ich viele Leute, die mir ähnlich waren - LGBTI und Schwarze Menschen. Sie gaben mir die Unterstützung, die ich brauchte, um mich selbst zu akzeptieren. Dort traf ich Alan Costa, den Gründer von Afrobapho, der fragte, ob ich bei seiner Gruppe DJ werden wollte. Ich war 18 und dachte: "Das ist großartig - worum geht es?""
"Ich wusste, dass ich ein Teil von Afrobapho sein wollte - es ist gut für meine geistige Gesundheit. Ich möchte, dass Menschen wie ich überleben und ein friedliches Leben führen. Ich fühle mich von Afrobapho einbezogen. Ich fühle mich wohl und respektiert. Wenn man sich einbezogen fühlt, kann man sein, wer man möchte und sagen, was du fühlst. Inklusion ist ein Raum, in dem du dich zeigen und für dich und deine Leute denken und frei sein kannst. Wir alle verdienen es, eingeschlossen und akzeptiert zu werden. "
Afrobapho arbeitet mit Amnesty International Brasilien zusammen, um sicherzustellen, dass Menschenrechtserziehung Teil all ihrer Aktivitäten ist.