Amnesty International – Pressemitteilung
23. Oktober 2015
Acehs neues 'Islamisches Strafgesetzbuch' (Qanun Jinayat) tritt heute in Kraft. Es setzt körperliche Züchtigungen als Strafe für einvernehmlichen Sex außerhalb der Ehe und in gleichgeschlechtlichen Beziehungen fest, strafbar durch bis zu 30 Peitschenhieben und bis zum 100 Peitschenhieben. Es führt auch untragbare Hürden für die Anzeige von Vergewaltigungen ein, zusammen mit Strafen für jede Person, von der angenommen wird, dass sie falsche Beschuldigungen vorbringt.
"Jede Person, die einvernehmlichen Sex hat, mit bis zu 100 Peitschenhieben zu bestrafen, ist verabscheuungswürdig", sagte Josef Benedict, Kampagnen Leiter von Amnesty International für Südostasien.
"Der Gebrauch von Auspeitschungen als Strafe stellt eine grausame, inhumane und herabwürdigende Behandlung dar und sollte als Folter gewertet werden. Verletzungen, die Menschen durch eine solche monströse körperliche Misshandlung erleiden, können zu dauerhaften körperlichen Schädigungen führen, ganz abgesehen von den psychologischen Folgen der Misshandlung. Dies ist eine ungeheuerliche Verletzung der Menschenrechte und muss sofort widerrufen werden."
Obwohl es als ein 'Islamisches Strafgesetzbuch' bezeichnet wird, verhängt die neue Verordnung von Aceh gleichermaßen für Muslime und Nicht-Muslime Strafen für 'Vergehen', die unter dem gegenwärtigen Indonesischen Strafgesetzbuch (KUPH) nicht als Verbrechen gelten.
Das neue Gesetz erweitert nicht nur den Katalog der Vergehen, für die Auspeitschungen verhängt werden können, sondern es schließt auch neue Hürden für Frauen ein, die Vergewaltigungen anzeigen möchten.
Vergewaltigungsopfer müssen Beweise für die Vergewaltigung vorweisen, wenn sie eine Anklage einreichen. Wenn die Autoritäten den Eindruck haben, dass die Beweise unzureichend sind, kann der beschuldigte Vergewaltiger einer Strafe einfach dadurch entgehen, dass er einen Eid auf seine Unschuld leistet. Frauen werden auch dadurch davon abgehalten, Vergewaltigungen anzuzeigen, dass das neue Gesetz Strafen für 'falsche' Beschuldigungen einführt, wie Auspeitschungen, Geldstrafen und bis zu 30 Monaten Gefängnis.
"Dies schafft unakzeptable Hürden für die Untersuchung und Verfolgung von Vergewaltigungen und anderen sexuellen Gewalttaten, indem es den Opfern den Zugang zu Gerechtigkeit verwehrt und sie potentiell davon abhält, Vergewaltigungen überhaupt anzuzeigen. Dies gefährdet all diejenigen, die Gefahr laufen Opfer sexueller Gewalt zu werden", sagte Josef Benedict.
Gleichsam besorgniserregend ist die Tatsache, dass das neue Gesetz auch ernsthafte Auswirkungen auf Kinder hat, da es 'Ehebruch mit einem Kind' als Strafbestand aufführt und dadurch potentiell sexuelle Gewalt gegen Kinder als außerehelichen Sex oder 'Ehebruch' wertet. Damit setzt sich das neue Gesetz über Indonesiens Verpflichtung hinweg, besonderen Schutz für Kinder gegen sexuelle Nötigung und sexuelle Gewalt zu schaffen.
"Indonesiens Verpflichtungen in Bezug auf die Menschenrechte beziehen sich auf jedes Gesetz und auf jede rechtliche Praxis auf jeder Stufe der Gesellschaft - national, regional und lokal - und die zentrale Regierung muss sicherstellen, dass die Menschenrechte überall im Land akzeptiert werden. Der Dezentralisierungsprozess und die Autonomie der Regionen darf nicht auf Kosten der Menschenrechte gehen", sagte Josef Benedict.
Hintergrund
Obwohl körperliche Züchtigungen als Strafen im Rest von Indonesien illegal sind, hat die Provinzregierung von Aceh unter ihrem besonderen Autonomie-Status seit 2002 Auspeitschungen als Strafe für ernste Vergehen festgesetzt.
Im Jahr 2008, hat das UN-Komitee gegen Folter Indonesien dazu aufgefordert, alle nationalen und lokalen Legalisierungen von körperlichen Strafen zu überprüfen, mit dem Ziel, diese abzuschaffen.
Im Jahr 2013, forderte das UN-Komitee für Menschenrechte, das die staatliche Befolgung des internationalen Abkommens über zivile und politische Rechte (ICCPR) überprüft, Indonesien dazu auf, praktische Schritte in Angriff zu nehmen, um die Verurteilungen zu körperlichen Strafen zu beenden und die Verordnungen des Gesetzes von Aceh, die diese Strafen im Strafsystem implementieren, zu widerrufen.
Gesetze, die den 'Ehebruch' betreffen, haben unverhältnismäßige Auswirkungen auf die Frauen in Gesellschaften, in denen diskriminierende Haltungen versuchen, ihre Sexualität zu kontrollieren. Soziale Erwartungen, die festlegen, was 'angemessenes' Verhalten von Frauen ausmacht, bewirken, dass Frauen mit höherer Wahrscheinlichkeit Verhaftungen und Verfolgungen für solche 'Verbrechen' zu erwarten haben. Frauen aus ärmeren Verhältnissen, die oft willkürlich verhaftet werden, sind davon besonders betroffen sein, da sie sich keinen Rechtsbeistand leisten können.