AMNESTY INTERNATIONAL – Pressemitteilung
5. Juni 2015
Index: EUR 46/1818/2015
Die drei Männer wurden am 30. Mai 2015 während eines beginnenden Pride Events in Moskau verhaftet und am 1. Juni zu 10 Tagen Haft verurteilt, angeblich wegen der "Weigerung polizeilichen Anweisungen zu folgen". Nach einer Beschwerde bestätigte das Moskauer Stadtgericht am 4. Juni die drei Urteile.
Die drei Aktivisten wurden festgenommen, nachdem sie am 30. Mai versucht hatten, eine Pride Parade im Zentrum Moskaus zu veranstalten.
Seit dem ersten Versuchen von LGBTI Aktivist_innen, ein Pride Event im Jahr 2006 zu organisieren, haben die Moskauer Behörden in jedem Jahr ihre Genehmigung mit der Begründung verweigert, dass die Veranstaltungen "qualvoll" für die Bevölkerung Moskaus seien.
In diesem Jahr haben die Organisator_innen drei Anträge für eine öffentliche Veranstaltung am 30. Mai an die Moskauer Behörden gestellt und schlugen dabei unterschiedliche Veranstaltungsarten vor. Die Behörden lehnten alle Anträge ab und begründeten dies damit, dass sie die Organisator_innen bereits zuvor darüber informiert hätten, dass eine Pride Veranstaltung in Moskau nicht erlaubt sei. Am 29. Mai bestätigte das Bezirksgericht Preobrazhenski in Moskau das Verbot.
Trotz des Verbots luden die Organisator_innen ihre Unterstützer_innen dazu ein, sich am 30. Mai um 13 Uhr im Zentrum Moskaus zu versammeln und zwei Menschenrechtsverteidiger - Nikolai Alekseev und Vadim Gruzdev - versuchten auf einem Quad mit einer Regenbogen-Flagge und einer Rauchfackel am Büro des Moskauer Bürgermeisters auf der Tverskaya Straße vorbeizufahren. Die zwei wurden unmittelbar von LGBTI-Gegner_innen und der Polizei gestoppt, die sich dort in Erwartung des Pride Events versammelt hatten.
Die Aktivisten wurden verhaftet und mit 12 weiteren zu einer Polizeiwache gebracht. Unter ihnen waren die bekannte Journalistin und LGBTI Aktivistin Elena Kostiuchenko, sowie eine Frau, die versuchte ein Banner mit dem Aufdruck "Liebe - Nicht kämpfen" zu entfalten und andere LGBTI Aktivist_innen. Unter den Verhafteten waren auch einige Gegendemonstrant_innen, die versucht hatten, mit Gewalt die LGBTI Aktivist_innen daran zu hindern, Regenbogen-Flaggen und Banner zu zeigen. Videomaterial zu folge, das Amnesty International gesehen hat, haben LGBTI Gegner_innen auch verschiedene Teilnehmer_innen der Pride Veranstaltung auf dem Weg dorthin attackiert und getreten. Mindestens zwei Menschenrechtsverteidiger_innen wurden durch Pfefferspray verletzt; einer benötigte später medizinische Versorgung.
Alle Verhafteten wurden noch am selben Tag entlassen, mit Ausnahme von Nikolai Alekseev, Vadim Gruzdev und Evgenii Gerasimov. Vier der entlassenen LGBTI Aktivist_innen wurden der "Verstöße gegen das festgelegte Verfahren der Organisation bzw. Durchführung einer Versammlung, eines Meetings, einer Demonstration, eines Marschs oder einer Mahnwache" (Artikel 20.2, Teil 5, Gesetzbuch über Ordnungswidrigkeiten) angeklagt, eine Anklage die eine Geldstrafe von bis 20,000 Rubel (ungefähr 317 Euro) bedeuten kann, aber keine Verwaltungshaft. Keiner der Gegendemonstrant_innen wurde angeklagt.
Nikolai Alekseev, Vadim Gruzdev und Evgenii Gerasimov wurden später angeklagt und des Artikel 19.3 des Gesetzbuchs über Ordnungswidrigkeiten der Russischen Förderation für schuldig befunden ("Nichtbefolgung einer legitimen Anordnung eines Polizisten oder anderen Beamten der Strafverfolgung "). Da er die unterbrochene Pride Veranstaltung organisiert hatte, wurde Nikolai Alekseev ebenfalls der Verletzung des festgelegten Verfahrens der Organisation bzw. Durchführung einer Versammlung für schuldig befunden (Artikel 20.2, Teil 5, Gesetzbuch über Ordnungswidrigkeiten).
Am 1. Juni 2015, verurteilte das Bezirksgericht Tverskoi in Moskau alle drei Aktivisten zu je 10 Tagen Verwaltungshaft.
Nach Aussagen der Verteidiger von Vadim Gruzdev und Nikolai Alekseev und einem bei der Anhörung anwesenden Bürger, der von Amnesty interviewt wurde, berief sich der Richter ausschließlich auf den geschriebenen Polizeibericht wegen der Festnahme. Dieser beschrieb, dass die Polizei die beiden aufgefordert hatte ihre Aktion zu stoppen, sie sich aber geweigert hätten. Der Richter, der ursprünglich die Anhörungen gegen die drei Angeklagten durchgeführt hatte und die Richter, die später die Berufung verhandelt hatten, hielten es für unnötig das vorhandene Videomaterial der Festnahme zu sichten und weigerten sich, es zu den Beweismitteln hinzuzufügen.
Dem Video- und Fotomaterial der Veranstaltung nach, das von Amnesty International angesehen wurde, haben die drei Männer am 30. Mai friedlich von ihrem Recht auf Versammlungsfreiheit Gebrauch gemacht, als sie von der Polizei verhaftet wurden. Zum Zeitpunkt der Festnahme sprach die Polizei keine Warnungen aus und die Aktivisten wehrten sich nicht aktiv gegen die Polizisten. Nikolai Alekseev und Vadim Gruzdev waren gerade erst vor dem Büro des Moskauer Bürgermeisters eingetroffen, während Evgenii Gerasimov auf dem Bürgersteig mit anderen Menschen sprach.
Amnesty International glaubt, dass Nikolai Alekseev, Vadim Gruzdev und Evgenii Gerasimov ihrer Freiheit beraubt wurden nur weil sie ihr Recht auf Meinungsfreiheit und friedliche Versammlungen ausüben wollten. Wir fordern ihre sofortige und bedingungslose Freilassung.
Hintergrund
Pride Veranstaltungen werden regelmäßig durch Behörden in der gesamten Russischen Föderation verboten, meist aufgrund einer angeblichen Besorgnis um die Sicherheit der Teilnehmer_innen oder weil die allgemeine Bevölkerung solche Veranstaltungen ablehnt. Seit Juli 2013 verbietet das Gesetz die "Propaganda von nicht-traditionellen sexuellen Beziehungen" gegenüber Minderjährigen und seitdem wird es von den Behörden als Grundlage verwendet, um LGBTI Aktivist_innen die Veranstaltung von Straßenparaden zu verbieten.
Im Jahr 2010 entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass das beständige Verbieten von Prides durch die Moskauer Behörden das Recht der Organisatoren auf Meinungsfreiheit und friedliche Versammlungen verletze (Fall: Nikolai Alekseev v Russia). Trotz dieser Entscheidung fahren die Behörden Moskaus in den darauffolgenden Jahren damit fort, den Pride Paraden ihre Erlaubnis zu verweigern.