PRESSEMITTEILUNG
Die libanesischen Behörden greifen systematisch die Menschenrechte von lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans* und intersexuellen Menschen (LGBTI) an.
Während der Libanon immer tiefer in die Krise gerät, gehen die Behörden hart gegen die Rechte von LGBTI-Personen vor und lassen unkontrollierte Gewalt gegen sie zu.
Die libanesischen Behörden sollten die vorgeschlagenen Anti-LGBTI-Gesetze unverzüglich zurückziehen und die anhaltenden Angriffe auf die Grundfreiheiten beenden.
Im August 2023 brachten zwei libanesische Beamt*innen getrennte Gesetzentwürfe ein, die gleichgeschlechtliche Beziehungen zwischen einwilligenden Erwachsenen ausdrücklich unter Strafe stellen und jeden, der „Homosexualität fördert“, mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestrafen. Die Einführung der Gesetzentwürfe folgt auf eine Reihe von feindseligen Vorfällen im vergangenen Jahr, sowie auf ein rechtswidriges ministerielles Verbot von Veranstaltungen zum Thema Homosexualität. Diese Angriffe auf die Menschenrechte finden im Kontext einer lähmenden Wirtschaftskrise statt, welche katastrophale Folgen für die Menschenrechte hat und über 80 Prozent der Bevölkerung in die Armut treibt. Hiervon sind vor allem Randgruppen betroffen.
„Während der Libanon immer tiefer in der Krise versinkt, gehen die Behörden gegen die Rechte von LGBTI-Personen vor und lassen unkontrollierte Gewalt gegen sie zu“, sagte Rasha Younes, leitende Researcherin für LGBTI-Rechte bei Human Rights Watch, einem Mitglied der Koalition. „Die libanesischen Behörden sollten die vorgeschlagenen Anti-LGBTI-Gesetze unverzüglich zurückziehen und die anhaltenden Angriffe auf die Grundfreiheiten beenden.“
Die libanesischen Behörden sollten die Rechte auf freie Meinungsäußerung, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Privatsphäre, Gleichberechtigung und Nichtdiskriminierung für alle Menschen im Libanon, einschließlich LGBTI-Personen, schützen, so die Koalition.
Human Rights Watch und andere Mitglieder der Koalition haben zuvor die in dem aktuellen Bericht enthaltenen Übergriffe dokumentiert, die seit 2017 andauern, ebenso wie die jüngsten Angriffe auf LGBTI-Personen im Libanon. Die Mitglieder der Koalition haben auch die in dem Bericht erwähnten Videos, Social-Media-Posts und Regierungsberichte überprüft.
Obwohl einvernehmliche gleichgeschlechtliche Handlungen im Libanon nicht ausdrücklich unter Strafe gestellt sind, wird nach Artikel 534 des Strafgesetzbuchs „jeder Geschlechtsverkehr, der gegen die natürliche Ordnung verstößt“ mit bis zu einem Jahr Gefängnis bestraft – und das trotz einer Reihe von Gerichtsurteilen zwischen 2007 und 2018, welche besagen, dass einvernehmliche gleichgeschlechtliche Beziehungen nicht illegal sind. Im Juli 2023 legten neun Abgeordnete einen Gesetzentwurf zur Aufhebung von Artikel 534 vor. Die Unterzeichner*innen des Gesetzentwurfs werden seither von politischen und religiösen Behörden im Internet schikaniert, was sogar dazu führte, dass ein Parlamentsmitglied seine Unterschrift zurückzog.
Nachfolgend legten der Kulturminister des Landes und ein Parlamentsmitglied Gesetzesentwürfe vor, welche gleichgeschlechtliche Handlungen und die „Förderung von Homosexualität“ unter Strafe stellen würden, wobei dieser Begriff nicht definiert ist.
Am 23. August griffen Männer einer Gruppe, die sich „Soldaten Gottes“ nennt und offen feindselig gegenüber LGBTI-Personen auftritt, Menschen in einer Bar in Beirut an, in der eine Drag-Veranstaltung stattfand, verprügelten einige der Teilnehmer*innen, als sie versuchten, die Bar zu verlassen, und drohten mit weiterer Gewalt gegen LGBTI-Personen.
Beamt*innen der internen Sicherheitskräfte, die während des Angriffs eintrafen, griffen Berichten zufolge nicht ein. Stattdessen verhörten sie offenbar den Barbesitzer und die Gäste über die Art des Auftritts. Niemand wurde wegen des Angriffs verhaftet.
Im Juni 2022 erließ der geschäftsführende Innenminister des Libanon, Bassam al-Mawlawi, eine rechtswidrige Richtlinie, die die Sicherheitskräfte anwies, Pro-LGBTI-Veranstaltungen zu verbieten. Trotz eines Gerichtsbeschlusses vom November 2022, mit dem die Richtlinie ausgesetzt wurde, erließ al-Mawlawi eine zweite Richtlinie, mit der er alle „Konferenzen, Aktivitäten oder Demonstrationen, die mit Homosexualität zu tun haben oder sich damit befassen“, verbot.
Seit 2017 haben libanesische Sicherheitskräfte regelmäßig in Menschenrechtsveranstaltungen zum Thema Geschlecht und Sexualität eingegriffen, u. a. durch die Verhängung von Einreiseverboten gegen nichtlibanesische Teilnehmer*innen, die laut Gerichtsbeschluss im Jahr 2021 aufgehoben wurden.
Die Serie von Angriffen auf die Grundfreiheiten in einem Land, das einst stolz auf seine Vielfalt war, löste bei Medienorganisationen und der libanesischen Zivilgesellschaft, die sich mit LGBTI-Personen solidarisierten, eine Gegenreaktion auf die staatlich geförderte Unterdrückung aus.
Am 25. August gaben 18 Medienorganisationen im Libanon eine gemeinsame Erklärung ab, in der sie das jüngste harte Vorgehen gegen Freiheiten, darunter auch gegen LGBTI-Personen, ablehnten und zur Einigkeit im Kampf dagegen aufriefen. „Die Dämonisierung der Freiheiten in ihren verschiedenen Formen unter dem Deckmantel der 'Bekämpfung der Homosexualität' wird unweigerlich Auswirkungen auf alle öffentlichen Freiheiten haben“, so die Gruppen und Einzelpersonen.
Auch Reporter ohne Grenzen verurteilte die vorgeschlagenen Anti-Homosexualitätsgesetze als Rechtfertigung für einen erneuten Angriff auf die Medienfreiheit. Die Gruppe dokumentierte jüngste Fälle von Cyberstalking, Drohungen und Einschüchterungen gegen Journalist*innen, die über Themen rund um Gender und Sexualität im Libanon berichten.
Diskriminierung beim Schutz vor Gewalt und beim Zugang zur Justiz ist nach internationalem Recht verboten. Im Rahmen der allgemeinen regelmäßigen Überprüfung des libanesischen Menschenrechtsschutzes durch den UN-Menschenrechtsrat im Jahr 2021 akzeptierte der Libanon die Empfehlungen zur Aufhebung von Artikel 534 und zur Gewährleistung des Rechts auf friedliche Versammlung und Meinungsäußerung für LGBTI-Personen. Die libanesische Verfassung garantiert auch das Recht auf freie Meinungsäußerung „innerhalb der durch das Gesetz festgelegten Grenzen“.
Der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR), den der Libanon 1972 ratifiziert hat, sieht vor, dass jeder das Recht auf Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit ohne Diskriminierung hat.
„Die libanesische Regierung ist weit davon entfernt, dem öffentlichen Interesse zu dienen, und untergräbt grundlegende Rechte, während sie es versäumt, dringende Wirtschafts- und Justizreformen durchzuführen“, sagte Wadih Al-Asmar, Präsident des Libanesischen Zentrums für Menschenrechte (CLDH), einem Mitglied der Koalition. „LGBTI-Rechte sind grundlegende Menschenrechte, und einen Teil der Gesellschaft unter dem falschen Vorwand der sogenannten öffentlichen Moral an den Rand zu drängen, schadet den Menschenrechten aller.“
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