AMNESTY INTERNATIONAL – BLOG
8. November 2017 – Von Laura Carter
Intergeschlechtlich ist ein Begriff für Menschen, die mit unterschiedlichen reproduktiven oder sexuellen Merkmalen geboren werden. Biologisches Geschlecht kann nicht sauber in binäre Kategorien von "männlich" und "weiblich" unterteilt werden. Schätzungsweise 1,7% der weltweit geborenen Kinder weisen Variationen in ihren Geschlechtsmerkmalen auf. Das ist ungefähr die gleiche Anzahl von Menschen, die mit roten Haaren geboren werden.
Tragischerweise werden viele Kinder traumatisierenden Operationen unterzogen, um sie zu "normalisieren" - trotz der Tatsache, dass diese Interventionen oft invasiv, irreversibel und nicht wegen eines Notfalls durchgeführt werden. Sie werden operiert, wenn die Individuen noch zu jung sind, um sich an der Entscheidung zu beteiligen. Diese "Behandlung" von intergeschlechtlichen Kindern ist eine inakzeptable Verletzung ihrer Menschenrechte und muss gestoppt werden.
Aber 2017 hat uns Grund zur Hoffnung gegeben, dass dank der unermüdlichen Arbeit von Aktivist_innen für Rechte intergeschlechtlicher Menschen auf der ganzen Welt Veränderungen möglich sind. Zu Ehren des Intersex* Day of Solidarity haben wir sieben Entwicklungen bei intergeschlechtlichen Rechten zusammengetragen, die Sie in diesem Jahr vielleicht verpasst haben.
1. Das Model Hanne Gaby Odiele outete sich als intergeschlechtlich.
Im Januar verkündete Hanne Gaby Odiele, die für Designer wie Chanel, Dior und Alexander Wang gearbeitet hat, dass sie intergeschlechtlich ist und kündigte an, mit der US-amerikanischen Organisation InterACT Advocates for Intersex Youth für die Rechte intergeschlechtlicher Menschen einzutreten. Ihre öffentliche Ankündigung machte Schlagzeilen und trug dazu bei, die wachsende Bewegung für Rechte für intergeschlechtliche Menschen ins Rampenlicht zu rücken.
2. Die intergeschlechtliche Bewegung wächst auch über nationale Grenzen hinaus.
Im April fanden zwei wichtige Veranstaltungen statt: die erste europäische intergeschlechtliche Konferenz in Österreich und das vierte internationale intergeschlechtliche Forum in den Niederlanden, das bis dahin größte jemals stattfindende Treffen von intergeschlechtlichen Aktivist_innen aus der ganzen Welt. Diese beiden Veranstaltungen boten intergeschlechtlichen Menschen eine Plattform, um ihre Erfahrungen auszutauschen und Strategien für die Rechte intergeschlechtlicher Menschen in Europa und darüber hinaus zu entwickeln.
3. Amnesty International und Human Rights Watch veröffentlichten wichtige Berichte über die Rechte intergeschlechtlicher Menschen
Im Mai starteten wir "First, Do No Harm", eine Dokumentation der Menschenrechtsverletzungen an intergeschlechtlichen Kindern und Erwachsenen in Dänemark und Deutschland. Wir fordern beide Länder auf, Richtlinien für medizinisches Fachpersonal zu entwickeln und umzusetzen, um sicherzustellen, dass Kinder mit unterschiedlichen Geschlechtsmerkmalen keinen chirurgischen Eingriffen ausgesetzt werden, die keinen Notfall darstellen, die schädliche Auswirkungen haben, invasiv und irreversibel sind. Human Rights Watch veröffentlichte auch wichtige Forschungen darüber, wie Ärzt_innen in den USA immer noch intergeschlechtliche Kinder medizinisch unnötigen und traumatisierenden Operationen unterziehen, obwohl die wissenschaftlichen Beweise gegen diese Behandlung zunehmen.
4. Intergeschlechtliche Aktivist_innen kämpfen für eine bessere Gesundheitsversorgung auf der ganzen Welt.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) überarbeitet derzeit ihre Klassifikation von Krankheiten, die ein wichtiges Instrument für Ärzt_innen und politische Entscheidungsträger_innen weltweit ist. Intergeschlechtliche Menschen, die schließlich die Menschen mit den meisten intergeschlechtlichen Gesundheitsproblemen sind, setzen sich dafür ein, dass die neue Klassifizierung der WHO die Menschenrechte nicht verletzt, wenn es darum geht, intergeschlechtliche Menschen zu behandeln.
Eine der wichtigsten Änderungen, die sie vorantreiben, ist die Änderung der Bezeichnung für intergeschlechtliche Variationen von "Störungen der Geschlechtsentwicklung" in "angeborene Variationen von Geschlechtsmerkmalen". Die Änderung ist von entscheidender Bedeutung, damit die medizinische Gemeinschaft erkennt, dass intergeschlechtlich keine Störung darstellt und unnötige Operationen sowie Scham und Stigmatisierung vermieden werden.
5. Kalifornien hat ein Gesetz verabschiedet, das "nichtbinär" als dritte Geschlechtsoption anerkennt.
Am 15. Oktober unterzeichnete der Gouverneur von Kalifornien eine neue Gesetzesvorlage, die einen Durchbruch für die Rechte intergeschlechtlicher Menschen darstellt: das Gesetz zur Anerkennung von Geschlechtergleichstellung (Gender Recognition Act). Nach dem Inkrafttreten des Gesetzes im Jahr 2018 können Personen auf ihren Führerscheinen, Geburtsurkunden und Personalausweisen die Option "nichtbinär" als Geschlechtsoption auswählen. Neben einer dritten Geschlechteroption werden auch Anforderungen an medizinische Behandlungen und psychiatrische Diagnosen entfernt, um das Geschlecht eines Menschen auf seinen Ausweisen zu ändern. Wichtig ist auch, dass das Gesetz anerkennt, dass einige intergeschlechtliche Kinder medizinisch unnötige Operationen durchgemacht haben, was gegen ihre Menschenrechte verstößt.
6. Intergeschlechtliche Aktivist_innen erhalten endlich die verdiente Anerkennung.
Lucie Veith, die ehemalige Leiterin von Intersexuelle Menschen e.V., einer deutschen NGO, die intergeschlechtliche Menschen unterstützt und für Rechte intergeschlechtlicher Menschen kämpft, gewann den diesjährigen Anti-Diskriminierungspreis in Deutschland. Der Preis, der von der Familienministerin verliehen wird, würdigt die Arbeit von Einzelpersonen oder Institutionen, die außergewöhnliche Antidiskriminierungsarbeit geleistet haben. Veith ist die erste offen intergeschlechtliche Person, die in Deutschland einen nationalen Preis gewonnen hat.
7. Eine der wichtigsten Versammlungen Europas verabschiedete ihre erste Resolution zu Rechten intergeschlechtlicher Menschen.
Im Oktober hat die Parlamentarische Versammlung des Europarats, die an der Formulierung vieler fortschrittlicher nationaler Gesetze in Europa verantwortlich mitgearbeitet hat , einschließlich der Abschaffung der Todesstrafe, konkrete Schritte für die Mitgliedstaaten zum Schutz von intergeschlechtlichen Kindern festgelegt. Kinder. Dazu gehören die Umsetzung von Gesundheitskonzepten, die sich auf die Patient_innen und ihre Rechte konzentrieren, und - solange das Leben des Kindes nicht gefährdet ist - zu warten, bis das Kind selbst entscheiden kann, ob es sich einer Behandlung unterziehen will.
Laura Carter ist Forscherin für sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität bei Amnesty International. Erfahren Sie mehr auf intersexday.org und folgen Sie #IntersexDayofSolidarity.
Hier finden Sie ein Interview von Queeramnesty Freiburg mit Lucie Veith.