Von Lena Khalifa
Wenn seine ägyptischen Freunde Manu Abdo auf Fotos wiedersehen, sagen sie: "Oh, du bist ja glücklich!". Und sie klingen überrascht. Erst dann merkt Abdo, wie unglücklich er während seiner letzten Monate in Kairo 2016 war. Wie er jedes Mal voller Furcht aus dem Fenster blickte, wenn er eine Polizeisirene hörte, und dachte: "Vielleicht holen sie heute mich." Weil der 35-jährige Journalist schwul ist, hat er Ägypten aus Angst vor Verfolgung verlassen - im März wurde ihm deswegen in Deutschland politisches Asyl gewährt. Bereits seit einem Jahr lebt er nun hier: zuerst in Berlin, dann in Münster und jetzt in Köln.
Während hierzulande endlich die ersten gleichgeschlechtlichen Ehen geschlossen werden können, sehen sich homo- und bisexuelle sowie transgeschlechtliche Menschen in Ägypten einer Gefahr ausgesetzt, die viele von ihnen bisher nicht kannten. So hielten im September Fans der libanesischen Band Mashrou' Leila bei einem Konzert die Regenbogenflagge hoch - aus Solidarität mit dem schwulen Sänger Hamod Sinno und der LGBTI-Szene. Als die Bilder auf Facebook, Instagram und Twitter erschienen, hagelte es massenweise Hasskommentare. Ein bekannter ägyptischer Fernsehmoderator verglich Homosexualität mit Terrorismus.
Kurz darauf griff die Polizei durch: Mehr als siebzig Menschen sind laut Amnesty International bis November wegen ihrer vermeintlichen Homosexualität inhaftiert worden, weil sie das Konzert von Mashrou' Leila besuchten oder aus Solidarität mit den Festgenommenen eine Regenbogenflagge auf ihr Facebook-Profil setzten. 17 mussten bereits vor Gericht erscheinen, ihnen drohen Strafen wegen unmoralischen Verhaltens.
Um ihre angebliche Homosexualität zu beweisen, mussten einige von ihnen auf Polizeistationen Analtests über sich ergehen lassen. Amnesty International stuft diese Untersuchungsmethode als Folter ein.
Bislang stellte gleichgeschlechtlicher Sex im ägyptischen Gesetz gar keine Straftat dar; die meisten Urteile erfolgten in der Vergangenheit wegen "Unzucht" oder "sexueller Ausschweifungen". Doch das soll sich nun ändern: Ende Oktober reichten Abgeordnete einen Gesetzesentwurf im Parlament ein, der Strafen
zwischen ein und drei Jahren für "zwei oder mehr Individuen" vorsieht, "die pervertierte sexuelle Beziehungen unterhalten". Im Wiederholungsfall drohen sogar fünf Jahre Haft. Auch die Anstiftung zu solchen Handlungen soll mit Freiheitsentzug geahndet werden. Als "zutiefst diskriminierend" kritisierte die Amnesty-Nordafrika-Expertin, Najia Bounaim, die Vorlage.
In Ägypten war es für Schwule und Lesben noch nie einfach, doch zumindest in der Hauptstadt Kairo habe man relativ offen leben können, erinnert sich Abdo, den es 2010 deswegen aus der konservativen Küstenstadt Port Said in die Nil-Metropole gezogen hatte. Dort begann er für die britische Tageszeitung The Guardian zu schreiben. "In Kairo wollte ich endlich frei leben", erzählt er in einem Café in Berlin und ergänzt lachend: "Natürlich nicht frei frei, sondern im ägyptischen Sinne frei."
In Kairo existierte damals eine lebhafte Schwulenszene. Zwar gab es auch unter dem 2011 gestürzten Präsidenten Hosni Mubarak Verhaftungswellen, wie im Falle der sogenannten Cairo 52: 2001 wurden 52 vermeintlich schwule Männer bei einer Bootsparty auf dem Nil festgenommen, 21 erhielten Haftstrafen von drei Jahren. Doch vor allem in den Monaten rund um den Beginn der Revolution im Januar 2011 habe eine außergewöhnlicheAufbruchsstimmung geherrscht, erzählt Abdo. In Cafés und Bars konnte man sich treffen. Wurde eine Einrichtung geschlossen, fand sich schnell ein neuer Treffpunkt. Hinzu kamen Partys in Wohnungen sowie gewisse Straßenecken und Brücken, wo vor allem homosexuelle Männer auf Partnersuche gingen.
Die permanente Furcht vor der Polizei begann erst, als 2013 Armeechef Abdel Fattah al-Sisi den islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi aus dem Amt putschte. "Das Jahr unter der Herrschaft der Muslimbrüder war das beste Jahr für uns", sagt Abdo und bemerkt selbst, wie unwahrscheinlich das klingt.
Die Lage der Community sei unter dem 2014 zum Präsidenten gewählten Feldmarschall schlimmer denn je, schreibt die Egyptian Initiative for Personal Rights. Demnach wurden von Herbst 2013 bis März dieses Jahres 232 Homosexuelle und Transgender festgenommen. Oft sind bei den Razzien Journalisten regierungstreuer Medien dabei, die Homosexualität als vom Westen importierte Bedrohung ägyptischer Werte darstellen. Nach dem Konzert von Mashrou' Leila verbot der Oberste Rat für Presseregulierung die "Propagierung von Homosexualität" in den Medien. Es handle sich um eine "schändliche Krankheit, die verborgen werden muss", so die Medienaufsichtsbehörde.
Mit Protest ist kaum zu rechnen, denn der Einfluss islamischer und koptischer Religionsgelehrter, die sich gegen Homosexuelle aussprechen, ist groß. Eine der Inhaftierten gab an, auf der Wache von Mitgefangenen geschlagen worden zu sein, nachdem Polizisten sie als Unterstützerin Homosexueller bezeichnet hatten. Auch Abdos Eltern wissen nicht, dass er schwul ist. Sie denken, er sei aus politischen Gründen geflohen, wegen seiner Arbeit als Journalist. Nur einer Schwester, die in Italien lebt, hat er die Wahrheit erzählt. "Sie hat es akzeptiert und sehr liebevoll reagiert", sagt er mit einem traurigen Lächeln. "Es ist schön ein Familienmitglied zu haben, das Bescheid weiß."
Sein Leben in Kairo war zuletzt nur noch ein Versteckspiel. Viermal musste er umziehen, weil Nachbarn von seiner sexuellen Orientierung erfuhren und ihn nicht in ihrem Haus duldeten. Mehrfach wurde er zusammengeschlagen, von Polizisten eingeschüchtert und gedemütigt, erzählt er. Mit der Zeit begann er, sich vor sich selbst zu ekeln: "Ich fühlte mich wertlos und fing an, mich absichtlich in Gefahr zu bringen und ungeschützten Sex zu haben, weil ich mich so hasste."
Wenn er diese Geschichten erzählt, redet Abdo ganz ruhig. Wie ein Journalist eben, der über Schwulenfeindlichkeit berichtet, nicht über seine eigenen Erfahrungen. So auch, als er von der entwürdigenden Untersuchung auf einer Polizeiwache in Kairo kurz nach der Revolution vom Januar 2011 berichtet. Damals lockten Beamte ihn in eine Falle, so wie sie es bis heute durch vermeintliche Flirts auf der Straße oder fingierte Verabredungen über falsche Benutzerkonten auf Dating-Apps wie Grindr oder Tindr tun.
In Abdos Fall war der Lockvogel ein junger Mann, der ihn auf der Kasr-al-Nil Brücke im Zentrum der ägyptischen Hauptstadt ansprach: Er habe keinen Schlafplatz für die Nacht, sagte er ihm. "Der war überhaupt nicht mein Typ, aber ich hatte Mitleid und bot ihm an, ein paar Stunden in meiner Wohnung zu bleiben", erinnert sich Abdo. Vor der Haustür wurde er dann festgenommen.