AMNESTY INTERNATIONAL – ÖFFENTLICHE ERKLÄRUNG
AI-Index: EUR 25/6692/2017
10. Juli 2017
Am 2. Mai stellte die griechische Regierung einen Gesetzentwurf zur öffentlichen Konsultation vor, der die Anforderungen der vorherigen medizinischen Eingriffe, Tests oder Behandlungen im Zusammenhang mit der individuellen körperlichen und geistigen Gesundheit für eine Bestimmung der Geschlechtsidentität und Namensänderung beseitigt.
Amnesty International glaubt, dass nach Verabschiedung dieses Gesetzentwurfes vom griechischen Parlament Trans*Personen in Griechenland eine rechtliche Anerkennung ihrer Geschlechtsidentität erlangen können, ohne dass ihr Recht auf körperliche Unversehrtheit verletzt wird.
Allerdings hat die vorgeschlagene Gesetzgebung auch schwerwiegende Mängel in verschiedenen Bereichen. Es würde die gesetzliche Anerkennung der Geschlechtsidentität abhängig machen vom ledigen Personenstand und verheiratete Personen müssten sich scheiden lassen, um eine rechtliche Anerkennung ihres Geschlechts zu erhalten. Es schließt Jugendliche unter 17 Jahren aus und legt fest, dass die geänderte Geschlechtsidentität dem äußeren Erscheinungsbild einer Person entsprechen muss. Es ist aus dem Gesetzesentwurf nicht klar, wie dies beurteilt werden wird, so dass die Möglichkeit besteht, dass Personen, die eine rechtliche Anerkennung ihres Geschlechts beantragen, mit geschlechtsspezifischen Stereotypen übereinstimmen müssen.
Ebenfalls scheitert die vorgeschlagene Gesetzgebung darin, ein schnelles, transparentes und zugängliches Verfahren, das auf Selbstbestimmung beruht, zu gewährleisten. Es würde das Recht auf Privatsphäre insbesondere für Kinder von Trans* Personen und Eltern verletzen, da es keine Veränderung der Geschlechtsidentität auf Geburtsurkunden erlaubt, nachdem die Eltern ihr eigenes Geschlecht legal geändert haben. Die Gesetzgebung verlangt auch, dass die Antragsteller_innen eine in Griechenland ausgestellte Geburtsurkunde vorlegen müssen, sodass bestimmte Gruppen wie Flüchtlinge und Migrant_innen von der rechtlichen Anerkennung der Geschlechtsidentität ausgeschlossen sind.
Amnesty International fordert die griechische Regierung auf, die vorgeschlagenen Rechtsvorschriften über die rechtliche Anerkennung der Geschlechtsidentität zu ändern und sie an die Menschenrechtsnormen anzupassen, und zwar durch:
Beseitigung der Anforderung des ledigen Familienstandes.
Beseitigung von Altersbeschränkungen und Zugang für Minderjährige auf der Grundlage ihres eigenen Interesses unter Berücksichtigung des Kindeswohls, ihrer Entwicklung und ihres Rechtes, gehört zu werden.
Beseitigung der Anforderung der Korrespondenz zwischen Geschlechtsidentität und äußerer Erscheinung.
Einführung eines schnellen, zugänglichen und transparenten Verfahrens zur rechtlichen Änderung des Geschlechts und Namens einschließlich aller offiziellen Dokumente in Übereinstimmung mit dem individuellen Ausdruck der Geschlechtsidentität und ohne Einschränkungen bei der Anzahl der Änderungen.
Sicherstellung, dass die rechtliche Anerkennung der Geschlechtsidentität nicht nur auf Personen beschränkt ist, die eine in Griechenland ausgestellte Geburtsurkunde besitzen und dass Trans* Personen, die eine rechtliche Anerkennung der Geschlechtsidentität in einem anderen Land erlangt haben, in Griechenland anerkannt werden ohne sich einem neuen Verfahren unterziehen zu müssen.
die Erlaubnis sicher zu stellen, dass Personen, die sich weder als männlich noch weiblich identifizieren, entsprechende offizielle Papiere erhalten, die ihre Geschlechtsidentität widerspiegeln.
HINTERGRUNDINFORMATION
Bis vor kurzem haben die griechischen Gerichte in der Regel von Trans* Personen, die ihre Geschlechtsidentität und Namen ändern wollten, Gutachten gefordert, in denen sie medizinische Behandlungen, wie die Entfernung ihrer Fortpflanzungsorgane, eine hormonelle Behandlung und eine psychiatrische Diagnose, dass sie unter einer "Geschlechtlichen Identitätsstörung" leiden, nachweisen mussten. Allerdings habe einige Grundsatzurteile in den vergangenen zwei Jahren eine Änderung der gerichtlichen Praxis eingeleitet. Im Jahr 2016 stellte der Athener Magistrates Court fest, dass medizinische Verfahren keine obligatorische Voraussetzung für die rechtliche Anerkennung der Geschlechtsidentität in dem Fall eines Trans*Mannes sein dürfen.
Lang erwartet wurde am 2. Mai 2017 ein Gesetzentwurf über die "rechtliche Anerkennung der Geschlechtsidentität und nationale Instrumente zur Überwachung und Bewertung des Aktionsplans für die Rechte des Kindes" vom Ministerium für Justiz, Transparenz und Menschenrechte.
In einem Brief, der am 13. Mai 2017 an Stavros Kondonis, Minister für Justiz, Transparenz und Menschenrechte gerichtet war, legte Amnesty International eine Reihe von Bemerkungen und Empfehlungen vor und rief den Minister dazu auf, diese bei der Überarbeitung des Gesetzentwurfs über die rechtliche Anerkennung der Geschlechtsidentität zu berücksichtigen.
Nach Abschluss der öffentlichen Konsultation Mitte Juni 2017 wurde die vorgeschlagene Gesetzgebung an das Generalsekretariat der Regierung weitergeleitet. In einer Rede hat Frau Maria Yannakaki, Generalsekretärin für Transparenz und Menschenrechte, angekündigt, dass der Gesetzentwurf im Sommer dem Parlament vorgelegt werden soll.
Amnesty International hat die vorgeschlagene Gesetzgebung analysiert und die folgenden Mängel festgestellt:
ANFORDERUNGEN GENÜGEN NICHT INTERNATIONALEN MENSCHENRECHTSGESETZEN
Amnesty International sagt, dass die Anforderung des ledigen Personenstandes für Trans* Personen, die verheiratet sind und das nicht ändern wollen, eine Diskriminierung darstellt und fordert die Entfernung dieses Passus aus dem Gesetzentwurf. Diese Forderung zwingt Trans*Personen, zwischen dem Recht, eine Familie zu gründen sowie auf Privat- und Familienleben und dem Recht der Anerkennung der Geschlechtsidentität wählen zu müssen.
Wegen des Erfordernisses des ledigen Personenstandes wird Menschen, die verheiratet sind und die Anerkennung ihres bevorzugten Geschlechts erlangen wollen, eine unsinnige und kostspielige Wahl aufgezwungen. Sie müssen entweder den in der Ehe erworbenen Rechtsschutz und das Recht ihres Partners und ihrer Kinder auf Privat- und Familienleben aufgeben oder auf die gesetzliche Anerkennung ihres bevorzugten Geschlechts verzichten, was eine Verletzung ihres Rechts auf Privatleben und die Anerkennung vor dem Gesetz darstellt. Trans*Personen, die mit Ex-Ehepartner_innen, die dann rechtlich das gleiche Geschlecht haben würden wie sie, eine neue Rechtsunion bilden wollen, können sich nur für eine eingetragenen Lebenspartnerschaft entscheiden, da die griechischen Gesetze die gleichgeschlechtliche Ehe nicht vorsehen. Eingetragene Lebenspartnerschaften bieten weniger Rechte als die Ehe: zum Beispiel können gleichgeschlechtliche Paare keine Kinder adoptieren.
Amnesty International sieht die kürzlich angekündigte Änderung des Gesetzesentwurfs, die es 17-Jährigen ermöglicht, eine rechtliche Änderung mit elterlicher Zustimmung zu erhalten, als einen Schritt in die richtige Richtung an. Diese Änderung schließt jedoch noch Kinder unter 17 Jahren aus, sowie 17-Jährige, deren Eltern die Zustimmung verweigern.
Die Verweigerung der Anerkennung der Geschlechtsidentität unter einem bestimmten Alter steht nicht im Einklang mit den bestehenden internationalen Normen hinsichtlich der Rechte des Kindes. Die rechtliche Anerkennung der Geschlechtsidentität sollte Kindern auf der Grundlage ihres besten Interesses und des Kindeswohles zugänglich sein, unter Berücksichtigung ihres Entwicklungsstandes und ihres Rechtes, gehört zu werden.
Die rechtliche Anerkennung der Geschlechtsidentität sollte nicht vom äußeren Erscheinungsbild der Person abhängig sein. Diese Anforderung beruht auf stereotypen Vorstellungen von Geschlecht; die rechtliche Anerkennung des Geschlechts sollte nicht von der Anpassung an Geschlechtsstereotypen abhängig sein. Infolgedessen fordert die Organisation die griechischen Behörden auf, diese Anforderung aus dem Gesetzesentwurf zu entfernen.
VERFAHREN ZUR RECHTLICHEN ANERKENNUNG DER GESCHLECHTSIDENTITÄT ERFÜLLT NICHT DIE VORSCHRIFTEN VON SCHNELLIGKEIT, TRANSPARENZ, ZUGÄNGLICHKEIT UND SELBSTBESTIMMUNG
Amnesty International stellt zudem fest, dass das geplante Verfahren zur rechtlichen Anerkennung der Geschlechtsidentität nicht die Forderung nach Schnelligkeit, Transparenz, Zugänglichkeit und Selbstbestimmung internationaler Menschenrechtsnormen erfüllt, wie beispielsweise die PACE-Resolution zur Diskriminierung von Trans*Personen in Europa (PACE Resolution 2048 (2015), Artikel 6.1.2)
Die Veränderung der Geschlechtsidentität einer Person soll nach einer richterlichen Entscheidung erfolgen und nicht aufgrund der Selbstdeklaration des Individuums. Antragsteller_innen müssen auch persönlich vor dem zuständigen Gericht erscheinen und hinzu kommt, dass in dem Verfahren ein_e Anwält_in erforderlich ist.
Wie von nationalen NGOs vorgeschlagen, könnte ein Verfahren, das die oben genannten Kriterien erfüllt, eine Erklärung vor dem zuständigen Standesamt für die Änderung der Geschlechtsidentität und des Namens sein. Darüber hinaus ist die Begrenzung der Anzahl der möglichen Änderungen der Geschlechtsidentität eine unnötige Einschränkung der Rechte von Trans*Personen und sollte entfernt werden.
Obwohl im Rahmen des Gesetzesentwurfs Behörden zum Ausstellen von neuen Dokumenten wie Pässen und Personalausweisen verpflichtet sind, wird das entsprechende Verfahren nicht automatisch ausgelöst. Griechenland sollte sicherstellen, dass Einzelpersonen offizielle Dokumente - einschließlich Pässe, Ausweise und Bildungsnachweise, die ihren Namen und ihr Geschlecht widerspiegeln - ohne übermäßige finanzielle oder bürokratische Belastung erhalten können.
KINDER VON TRANS*PERSONEN UND DAS RECHT AUF PRIVATLEBEN
Trans*personen muss erlaubt sein, ihren gesetzlichen Namen und ihre Geschlechtsidentität auf allen offiziell vom Staat ausgestellten Dokumenten ändern zu lassen. Infolgedessen ergeben sich ernsthafte Bedenken hinsichtlich der Festlegung, dass die Geschlechtsidentität von Trans*Personen nicht in den Geburtsurkunden eines Nachkommens korrigiert werden kann, der vor der rechtlichen Anerkennung des Geschlechts eines Elternteils geboren wurde. Eine solche Bestimmung verletzt das Recht auf Privatsphäre für die Kinder und ihre Eltern und muss entfernt werden.
BESTIMMTE GRUPPEN SIND VOM GESETZESENTWURF AUSGESCHLOSSEN
Der Gesetzesentwurf sieht keine offiziellen Dokumente vor, die die Geschlechtsidentität von Personen widerspiegeln, die sich weder männlich noch weiblich identifizieren. Es ist auch kein Verfahren für diejenigen möglich, die nicht im Besitz einer in Griechenland ausgestellten Geburtsurkunde sind. Infolgedessen stehen Trans*-EU-Staatsangehörigen, Migrant_innen, Asylsuchenden und Flüchtlingen, die in Griechenland wohnen, einer unangemessenen Belastung gegenüber und werden in Griechenland keine rechtliche Anerkennung ihrer Geschlechtsidentität erhalten. Dies ist besonders besorgniserregend angesichts der Anfälligkeit bestimmter Gruppen wie Trans*Flüchtlingen und Trans*Migrant_innen, die aufgrund ihrer Geschlechtsidentität und ihres Geschlechtsausdrucks besonders Gewalt und Gewaltdrohungen ausgesetzt sind.