Hülya, seit bald einem Jahr bist Du nun in der Schweiz. Wie geht es Dir?
! Mir geht es gut. Ich habe eine Wohnung in Zürich, einen geregelten Aufenthaltsstatus und lerne deutsch. Keine Polizeiprobleme. So weit also gut.
Du wurdest in der Türkei im Gefängnis brutal misshandelt. Wirken diese Traumata noch nach?
! Im Gefängnis wurden mir beide Arme gebrochen. Die Haare haben sie mir ausgerissen. Auch an den Füßen hatte ich Brüche. Zudem wurde behauptet, ich hätte die Polizisten angegriffen. In meinem Zustand wäre mir das gar nicht möglich gewesen. Ich wurde ja verhaftet, weil ich eine Transe bin und ständig mit der Polizei Probleme hatte. Polizisten mit und ohne Uniform haben mich zudem angegriffen, und mir Wunden am Kopf beigefügt. Die Polizei hat mich mehrmals geschlagen, mit Spray angegriffen. So wurde ich denn auch in das Spital eingeliefert. Ich möchte all dies vergessen, aber ich schaff das nicht richtig. In meinem Kopf wirken diese Vorfälle nach. Ich bekomme zwar psychologische Behandlung, aber die Misshandlungen wirken nach. Ich kann mich oft nicht richtig konzentrieren. Es geht zwar jetzt besser, aber wirklich erholt habe ich mich nicht.
Unter welchen Umständen erinnerst Du Dich an das, was Du in der Türkei erlebt hast?
! Es sind vor allem die Männer, die mich an die Vorfälle in der Türkei erinnern. Ich habe zwar auch Freunde in der Schweiz, vor allem Schwule, aber auch andere. Aber ich denke, dass ich vor allem mit Männern Mühe habe. Was für mich schwierig ist, ist vor allem die sprachliche Verständigung. Mein Kopf ist manchmal wie blockiert und ich möchte alles ausblenden, was mich an die Türkei erinnert. Ich muss sagen, ich hab meine kleinen Probleme. Ich möchte eine Partnerin finden. Das ist nicht so einfach, vor allem weil ich zu wenig deutsch kann. Aber immerhin fühle ich mich hier sicher, es gibt viele offene Leute hier in Zürich.
Hast Du Kontakt zu Deinen MitstreiterInnen in Istanbul?
! Ich möchte den Transsexuellen, Lesben und Schwulen in der Welt helfen. Aber im Moment habe ich schon mal das Problem mit der sprachlichen Verständigung. Deshalb pflege ich auch den Kontakt mit meiner Anwältin in der Türkei. Auch der Kontakt mit meinen feministischen Kolleginnen von Lambda Istanbul ist für mich sehr wichtig. So telefoniere ich zum Beispiel ab und zu mit Demet Demir.
Wie siehst Du die Zukunft der sexuellen Minderheiten in der Türkei?
! Wir haben mit Lambda Istanbul als sehr kleine Gruppe angefangen. Ich habe drei Jahre sehr gute und fruchtbare Arbeit bei Lambda Istanbul erlebt. Wir haben uns vor allem für Transsexuelle eingesetzt, aber die große Mehrheit der Mitglieder waren immer Lesben oder Schwule. Ich denke, dass es bei Lambda sehr gute Leute gibt, die die Bewegung weiterbringen können. Allerdings gibt es auch konkrete Probleme, zum Beispiel gegenwärtig das Problem mit dem Gemeinschaftszentrum, aus dem wir rausgeworfen werden. Da zeigt sich die Homophobie in der türkischen Gesellschaft sogar mitten in Istanbul. Auch der Islam ist ein Problem. Ich denke aber, dass Lambda in zehn Jahren größer ist, dass es trotz der Schwierigkeiten weitergeht. Anwältinnen wie Eren Keskin sind von grosser Bedeutung für den Schutz unserer Menschenrechte, ebenso Organisationen wie amnesty international. So hat ai Demet Demir, eine der Mitstreiterinnen von Lambda Istanbul, vor einigen Jahren als Gewissensgefangene anerkannt.
Wie hast Du das Asylverfahren in der Schweiz erlebt?
! Ich kam zuerst für drei Wochen zu einem ai-Mitglied in der Schweiz, dann zwei Wochen ins Asyl-Aufnahmezentrum in Basel. Da haben die offiziellen Befragungen stattgefunden. Da habe ich während etwa fünfeinhalb Stunden meine Geschichte erzählen können. Gestresst hat mich nicht die Befragerin, auch nicht die Befragungssituation, sondern ich selbst habe mich gestresst. Es war nicht einfach, all die Details wieder hervorzuholen. Ich wollte das alles doch möglichst vergessen. Insgesamt war ja das Verfahren aber sehr schnell abgeschlossen.
Wie geht es Dir gesundheitlich? Hast Du Dich von den Misshandlungen erholt?
! Ich wurde an den Armen operiert. Es geht nun besser, ist aber noch nicht perfekt. Ich habe wenig Kraft, und ich werde noch eine Operation machen müssen. Ein Problem sind zudem die Depressionen. Ich habe da schon noch Schwierigkeiten.
Wie siehst Du Deine berufliche Perspektive in der Schweiz?
! Das ist im Moment schwer zu sagen. Ich konnte ja in der Türkei ja nicht wirklich arbeiten, weil mir niemand einen Job geben wollte. Ich hab mit Porzellan gearbeitet in der Türkei, als ich noch jung war. Dann habe ich eigentlich nur in Bars wirklich gearbeitet. So muss ich nun erst mal deutsch lernen, dann muss ich aber auch einen Beruf erlernen. Ich werde da eine gewisse Zeit brauchen, weil ich nicht im Stande bin, so schnell zu lernen wie früher.
Hast Du Dir einen neuen Bekanntenkreis aufbauen können?
! Ich habe zwar nicht viele Freunde, aber doch ein paar. Einige Trans-Leute, einige andere, auch Türken. Das ist für den Moment ganz okay so. Ich finde es nicht ganz so einfach, hier neue Leute zu treffen. Es gibt nur ganz wenige, mit denen ich mich verstehe. Nur wenige, die meine Ideale teilen. Aber ich kenne ja auch Leute in Deutschland. Dort haben mir viele Freunde geholfen.
Willst Du mal in die Türkei zurückkehren?
! Ich denke nicht. Ich möchte gerne die Leute von Lambda Istanbul wieder treffen, aber frühestens in zehn Jahren in der Türkei. Aber das ist gar nicht sicher, im Moment macht mir eine solche Idee eher schlaflose Nächte. Ich habe ja noch diesen unsäglichen Prozess am laufen in Istanbul. Eren Keskin, meine Anwältin, verfolgt dieses Dossier. Ich kenne die Details nicht. Ich möchte die Türkei vor den internationalen Gerichtshof bringen für das, was sie mir angetan hat. Und für das, was sie anderen Trans Leuten angetan hat und immer noch antut. Ich möchte dazu beitragen, was ich von hier aus kann.
erstellt am: 13.03.2006