Meldungen | Asien | Türkei : „Ich möchte die Türkei vor den internationalen Gerichtshof bringen für das, was sie mir angetan hat“ – Interview mit Hülya Dasdemir

Hülya Dasdemir ist transsexuell. Außerdem ist sie Türkin. Bis Anfang 2005 lebte sie in Istanbul, wo sie mehrmals Opfer von Gewalttaten und Misshandlungen wurde und mehrere Monate im Gefängnis verbrachte. Seit Mitte 2005 hat sie Asyl in der Schweiz und lebt in Zürich. Hans Markus Herren interviewte sie für MERSI.

Hülya, seit bald einem Jahr bist Du nun in der Schweiz. Wie geht es Dir?
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Mir geht es gut. Ich habe eine Wohnung in Zürich, einen geregelten Aufenthaltsstatus  und lerne deutsch. Keine Polizeiprobleme. So weit also gut.

Du wurdest in der Türkei im Gefängnis brutal misshandelt. Wirken diese Traumata noch nach?
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Im Gefängnis wurden mir beide Arme gebrochen. Die Haare haben sie mir ausgerissen.  Auch an den Füßen hatte ich Brüche. Zudem wurde behauptet, ich hätte die Polizisten  angegriffen. In meinem Zustand wäre mir das gar nicht möglich gewesen. Ich  wurde ja verhaftet, weil ich eine Transe bin und ständig mit der Polizei Probleme  hatte. Polizisten mit und ohne Uniform haben mich zudem angegriffen, und mir  Wunden am Kopf beigefügt. Die Polizei hat mich mehrmals geschlagen, mit Spray  angegriffen. So wurde ich denn auch in das Spital eingeliefert. Ich möchte  all dies vergessen, aber ich schaff das nicht richtig. In meinem Kopf wirken  diese Vorfälle nach. Ich bekomme zwar psychologische Behandlung, aber die Misshandlungen  wirken nach. Ich kann mich oft nicht richtig konzentrieren. Es geht zwar jetzt  besser, aber wirklich erholt habe ich mich nicht.

Unter welchen Umständen erinnerst Du Dich an das, was Du in der Türkei  erlebt hast?
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Es sind vor allem die Männer, die mich an die Vorfälle in der Türkei erinnern.  Ich habe zwar auch Freunde in der Schweiz, vor allem Schwule, aber auch andere.  Aber ich denke, dass ich vor allem mit Männern Mühe habe. Was für mich schwierig  ist, ist vor allem die sprachliche Verständigung. Mein Kopf ist manchmal wie  blockiert und ich möchte alles ausblenden, was mich an die Türkei erinnert.  Ich muss sagen, ich hab meine kleinen Probleme. Ich möchte eine Partnerin finden.  Das ist nicht so einfach, vor allem weil ich zu wenig deutsch kann. Aber immerhin  fühle ich mich hier sicher, es gibt viele offene Leute hier in Zürich.

Hast Du Kontakt zu Deinen MitstreiterInnen in Istanbul?
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Ich möchte den Transsexuellen, Lesben und Schwulen in der Welt helfen. Aber  im Moment habe ich schon mal das Problem mit der sprachlichen Verständigung.  Deshalb pflege ich auch den Kontakt mit meiner Anwältin in der Türkei. Auch  der Kontakt mit meinen feministischen Kolleginnen von Lambda Istanbul ist für  mich sehr wichtig. So telefoniere ich zum Beispiel ab und zu mit Demet Demir.

Wie siehst Du die Zukunft der sexuellen Minderheiten in der Türkei?
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Wir haben mit Lambda Istanbul als sehr kleine Gruppe angefangen. Ich habe  drei Jahre sehr gute und fruchtbare Arbeit bei Lambda Istanbul erlebt. Wir  haben uns vor allem für Transsexuelle eingesetzt, aber die große Mehrheit der  Mitglieder waren immer Lesben oder Schwule. Ich denke, dass es bei Lambda sehr  gute Leute gibt, die die Bewegung weiterbringen können. Allerdings gibt es  auch konkrete Probleme, zum Beispiel gegenwärtig das Problem mit dem Gemeinschaftszentrum,  aus dem wir rausgeworfen werden. Da zeigt sich die Homophobie in der türkischen  Gesellschaft sogar mitten in Istanbul. Auch der Islam ist ein Problem. Ich  denke aber, dass Lambda in zehn Jahren größer ist, dass es trotz der Schwierigkeiten  weitergeht. Anwältinnen wie Eren Keskin sind von grosser Bedeutung für den  Schutz unserer Menschenrechte, ebenso Organisationen wie amnesty international.  So hat ai Demet Demir, eine der Mitstreiterinnen von Lambda Istanbul, vor einigen  Jahren als Gewissensgefangene anerkannt.

Wie hast Du das Asylverfahren in der Schweiz erlebt?
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Ich kam zuerst für drei Wochen zu einem ai-Mitglied in der Schweiz, dann zwei  Wochen ins Asyl-Aufnahmezentrum in Basel. Da haben die offiziellen Befragungen  stattgefunden. Da habe ich während etwa fünfeinhalb Stunden meine Geschichte  erzählen können. Gestresst hat mich nicht die Befragerin, auch nicht die Befragungssituation,  sondern ich selbst habe mich gestresst. Es war nicht einfach, all die Details  wieder hervorzuholen. Ich wollte das alles doch möglichst vergessen. Insgesamt  war ja das Verfahren aber sehr schnell abgeschlossen.

Wie geht es Dir gesundheitlich? Hast Du Dich von den Misshandlungen erholt?
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Ich wurde an den Armen operiert. Es geht nun besser, ist aber noch nicht perfekt.  Ich habe wenig Kraft, und ich werde noch eine Operation machen müssen. Ein  Problem sind zudem die Depressionen. Ich habe da schon noch Schwierigkeiten.

Wie siehst Du Deine berufliche Perspektive in der Schweiz?
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Das ist im Moment schwer zu sagen. Ich konnte ja in der Türkei ja nicht wirklich  arbeiten, weil mir niemand einen Job geben wollte. Ich hab mit Porzellan gearbeitet  in der Türkei, als ich noch jung war. Dann habe ich eigentlich nur in Bars  wirklich gearbeitet. So muss ich nun erst mal deutsch lernen, dann muss ich  aber auch einen Beruf erlernen. Ich werde da eine gewisse Zeit brauchen, weil  ich nicht im Stande bin, so schnell zu lernen wie früher.

Hast Du Dir einen neuen Bekanntenkreis aufbauen können?
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Ich habe zwar nicht viele Freunde, aber doch ein paar. Einige Trans-Leute,  einige andere, auch Türken. Das ist für den Moment ganz okay so. Ich finde  es nicht ganz so einfach, hier neue Leute zu treffen. Es gibt nur ganz wenige,  mit denen ich mich verstehe. Nur wenige, die meine Ideale teilen. Aber ich  kenne ja auch Leute in Deutschland. Dort haben mir viele Freunde geholfen.

Willst Du mal in die Türkei zurückkehren?
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Ich denke nicht. Ich möchte gerne die Leute von Lambda Istanbul wieder treffen,  aber frühestens in zehn Jahren in der Türkei. Aber das ist gar nicht sicher,  im Moment macht mir eine solche Idee eher schlaflose Nächte. Ich habe ja noch  diesen unsäglichen Prozess am laufen in Istanbul. Eren Keskin, meine Anwältin,  verfolgt dieses Dossier. Ich kenne die Details nicht. Ich möchte die Türkei  vor den internationalen Gerichtshof bringen für das, was sie mir angetan hat.  Und für das, was sie anderen Trans Leuten angetan hat und immer noch antut.  Ich möchte dazu beitragen, was ich von hier aus kann.

erstellt am: 13.03.2006

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