Amnesty International sieht Jean Claude Roger Mbede als einen gewaltlosen politischen Gefangenen an. In Douala, der größten und lebendigsten Stadt Kameruns, befindet sich die Anwaltskanzlei von Alice Nkom. Sie ist zugleich Sitz der Organisation L’association pour la défense des droits des homosexuel(le)s (Verein für die Verteidigung der Rechte homosexueller Frauen und Männer, Adefho), deren Gründerin und Vorsitzende Alice Nkom ist. Dem Namen entsprechend liegt das Mandat von Adefho nicht auf allen sexuellen Minderheiten, sondern ausschließlich auf homosexuellen Menschen. Dass die Organisation den Auftrag in ihrem Namen klar zu erkennen gibt, ist in Kamerun eine Ausnahme; denn die Kriminalisierung von Homosexualität zwingt Menschen und Organisationen gleichermaßen, sich zu verstecken.
Nach Artikel 347a des kamerunischen Strafgesetzbuches sind einvernehmliche sexuelle Praktiken zwischen Menschen des gleichen Geschlechts eine Straftat. Es sind hierfür Gefängnisstrafen zwischen sechs Monaten und fünf Jahren vorgesehen, zudem Geldstrafen in der Höhe von 20 000 bis 200 000 FCFA (ca. 30,50€ bis 305€). Aktuelle Bestrebungen der kamerunischen Regierung zielen darauf ab, das Strafmaß auf eine Haftdauer von 15 Jahren und eine Geldstrafe von 2 Millionen FCFA (etwa 3050€) zu verschärfen.
In Kamerun sind homophobe Einstellungen weit verbreitet, und werden von politischen und religiösen Autoritäten sowie von den Medien durch öffentliche Diffamierungen gestärkt. Aktuell sind sieben Männer wegen ihrer vermeintlichen oder tatsächlichen sexuellen Orientierung inhaftiert, wobei davon auszugehen ist, dass die Dunkelziffer weitaus höher liegt. Sexuelle Beziehungen zwischen Frauen sind von dem Artikel 347a zwar nicht ausgenommen, doch sind Frauen weitaus seltener als Männer von der Anwendung des Artikels betroffen.
In der Vergangenheit finanzierte Alice Nkom die Arbeit von Adefho in großen Teilen aus eigenen Mitteln, wobei die Europäische Union Adefho und zwei weiteren Vereinen im Jahr 2011 eine Projektförderung in Höhe von 300 000€ zukommen ließ. Tatkräftige Unterstützung erhält sie von einer Handvoll ehrenamtlicher Helfer_innen; vorwiegend handelt es sich hierbei um junge Männer, die nach Beendigung ihres Studiums keine Arbeit finden konnten. Die Arbeit der Organisation umfasst verschiedene Bereiche: Die Aktivist_innen unterstützen die Menschen in den Gefängnissen emotional und durch professionellen Rechtsbeistand; sie stärken homosexuelle Menschen in möglichen Konfrontationen mit der Polizei, indem sie sie über ihre Rechte aufklären; sie leisten aber auch Aufklärungsarbeit in der kamerunischen Gesellschaft und arbeiten zu HIV/Aids, da durch die staatlichen HIV/Aids-Programme Männer, die mit Männern Sex haben, und Frauen, die mit Frauen Sex haben, nicht erreicht werden. In strategischer Hinsicht verfolgt Adefho eine juristische Strategie, um einvernehmliche Sexualkontakte zwischen Angehörigen des gleichen Geschlechts zu legalisieren. Ziel ist es, einen Einzelfall vor den Obersten Gerichtshof des Landes zu bringen, dessen Richter_innen dazu verpflichtet sind, internationales Recht anzuwenden.
Adefho ist eine von mehreren Nichtregierungsorganisationen in Kamerun, die für die Rechte von Lesben und Schwulen eintritt. Dabei ist auffallend, wie schlecht die nationalen Organisationen untereinander vernetzt sind; gemeinsame Aktionen scheinen die Ausnahme zu sein. Es sei häufig schwer, überhaupt zu wissen, wer zu den Rechten sexueller Minderheiten arbeite. Denn aus Angst vor Übergriffen und Diskriminierungen würden sich die meisten lesbisch-schwulen Organisationen nicht als solche zu erkennen geben, so Alice Nkom. Stattdessen operierten sie etwa unter dem Deckmantel einer HIV/Aids-Organisation. International sind NGOs wie Adefho oder Alternatives Cameroun hingegen sehr gut vernetzt. Im Dezember 2010 kooperierten die beiden kamerunischen NGOs mit Human Rights Watch (HRW)und der International Gay and Lesbian Human Rights Commission (IGLHRC) bei der Erstellung des Berichts Criminalizing Identities. Rights Abuses in Cameroun based on sexual orientation and gender identity. Im September diesen Jahres schickten dieselben internationalen und nationalen Organisationen gemeinsam mit Amnesty International einen offenen Brief an den kürzlich wiedergewählten Staatspräsidenten Paul Biya, in dem sie u.a. die Freilassung von Häftlingen forderten, die aufgrund des Artikels 347a verhaftet worden waren. Für Alice Nkom ist die Zusammenarbeit mit internationalen Aktivistinnen und Aktivisten ermutigend. Sie und ihre Mitstreiter_innen hätten hierdurch das Gefühl, nicht alleine zu sein. Für die Zukunft baut sie auf einen stärkeren Austausch mit internationalen Partner_innen, um voneinander zu lernen und gemeinsame Strategien im Kampf für die Rechte von homosexuellen Menschen zu entwickeln. Auch hofft sie auf weitere finanzielle Unterstützung, um die Opfer des Artikels 347a juristisch verteidigen zu können und um in einem strategischen Gerichtsverfahren die Abschaffung desselben Artikels zu erkämpfen. Der Aufbau eines lokalen Radiosenders, der zu Aufklärungszwecken genutzt werden könnte, sowie ein eigenes Büro für Adefho, sind weitere Pläne der ehrgeizigen Menschenrechtsaktivistin.
Eva Range
Die Autorin (Afrikanistin M.A.) promoviert aktuell zu Menschenrechtskampagnen in Südafrika und ist Mitglied der Queeramnesty-Gruppe Berlin. Ende Oktober 2011 hatte sie die Gelegenheit, Alice Nkom und einen weiteren Vertreter von Adefho in Douala (Kamerun) zu treffen.