Von Conor Fortune, Nachrichtenautor von Amnesty International, der kürzlich aus St. Petersburg zurückkehrte
Nach Medienberichten vermutete die Polizei anfänglich - ziemlich unvorstellbar - dass sie Selbstmord begangen haben könnte. Eine Untersuchung soll nun die Todesursache der 29- Jährigen klären. Die Behörden haben die Möglichkeit in Erwägung gezogen, dass sie aufgrund ihrer sexuellen Orientierung angegriffen wurde: Sie war eine offen lebende Lesbe und gab Tangostunden für gleichgeschlechtliche Paare.
In den Tagen bevor sie starb, hatte ein bekannter Extremist eine Hassrede und Drohungen auf einer von ihr betriebenen Seite in Sozialen Netzwerken gepostet als Reaktion auf ein von ihr veröffentlichtes Foto, auf dem zwei sich umarmende Tango tanzende Frauen in der St. Petersburger Metro Station dargestellt wurden.
Was auch immer das Motiv war, Ekaterinas Tod hat eine Schockwelle auf die St. Petersburger kleinen aber aktiven Netzwerke von lesbischen, schwulen, bisexuellen und transgender Organisationen (LGBT) ausgelöst. Als ich einige von ihnen traf, waren sie sichtbar erschüttert..
Traurigerweise sind sie an Homophobie, die oft in Aggression überkocht, gewöhnt. Und sie sind an lustlose behördliche Resonanz auf Gewalt gegen LGBT Personen in Russland gewöhnt. Verbrechen gegen Menschen aufgrund ihrer realen oder vermuteten sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität sind nicht von der russischen Hate-Crime Gesetzgebung abgedeckt.
Die LGBT Aktivist_innen reagierten auf die Tragödie mit Entsetzen und Empörung, doch sind sie auch entschlossen, ihren Kampf um ein unterstützenderes Klima in St. Petersburg und ganz Russland fortzusetzen. Sie möchten in einem Klima leben, das ihnen ein Leben in Liebe ermöglicht und in dem sie frei atmen können.
Dies ist die hinter dem QueerFest stehende Motivation, das sich zu einer Schlüsselveranstaltung in St. Petersburg entwickelt hat und in diesem Jahr am 18. September beginnt. Die Veranstaltung läuft jetzt im sechsten Jahr, dauert zehn Tage und beinhaltet zahlreiche Gespräche, Seminare und Aufführungen an zwei Veranstaltungsorten im Stadtzentrum.
Das ist zumindest die Hoffnung der Planer_innen.
Im letzten Jahr lehnten ungefähr 40 Veranstaltungsorte eine Teilnahme ab und letztendlich mussten sie auf Veranstaltungsorte in den Vororten von St. Petersburg ausweichen. Polina Andrianova, Leiterin von "Coming Out" - die Organisation hinter dem QueerFest - sagte mir, dass sie hofft, mindestens einen der zwei geplanten Veranstaltungsorte beibehalten zu können. Während das Programm und die Sprecher_innen schon seit einiger Zeit bekannt sind, werden aufgrund der andauernden Drohungen gegen die LGBT Community die Veranstaltungsorte und andere Details erst in letzter Minute bekannt gegeben.
Für die Organisator_innen solcher Veranstaltungen lauern unerwartete Probleme und Ärger an jeder Ecke.
Nicht weniger als fünf Bombendrohungen unterbrachen im letzten November Russlands größtes internationales LGBT Filmfestival <link www.bok-o-bok.ru/default.asp by Side"</link> (Bok o Bok). Gulya Sultanova, eine der Organisatorinnen, sagte mir, dass die Behörden zum Teil während einer Filmaufführung das Gebäude wegen einer anonymen Bombendrohung evakuieren ließen. In keinem Fall wurden Bomben gefunden und die Filmvorführungen konnten ein oder zwei Stunden nach der Unterbrechung wieder aufgenommen werden.
"Nach dem ersten Mal wussten wir, dass die Bombendrohungen nicht stimmten", sagte Gulya.
Es kam auch zu anderen Versuchen, das Festival zu verhindern.
Eine Gruppe von jungen Menschen versuchte sich Einlass zum Festival zu verschaffen, offensichtlich um Unruhe zu stiften. Die Teilnahme von Minderjährigen an LGBT Veranstaltungen ist durch das im Juni von der Duma verabschiedete und von Vladimir Putin unterzeichnete und dadurch rechtskräftig gewordene Gesetz zu "Propaganda von Homosexualität in Anwesenheit von Minderjährigen" vermutlich unter Strafe gestellt. "Vermutlich" deshalb, weil niemandem klar ist, was alles unter "Propaganda" fällt, und bisher ist das Gesetz kaum zur Anwendung gekommen.
Aber das Bellen ist genauso schlimm wie ein Biss. Das neue Gesetz hat zusätzliche Ängste und Druck für LGBT Menschen im ganzen Land aufgebaut. Organisator_innen von Veranstaltungen wie "Side by Side" und QueerFest leiden unter der Androhung von harten Geldstrafen, außer sie drucken "18+" Beschränkungen auf ihre Ankündigungen und gewährleisten, dass keine Minderjährigen teilnehmen.
Gulya berichtet von einem Vorfall, als es beim "Side by Side" Festival im letzten Jahr einer Gruppe von jungen Menschen gelang, sich trotz einer Passkontrolle am Eingang in eine Vorführung Zugang zu verschaffen. Dort fingen sie an, sich laut rufend an die anwesenden Journalist_innen zu wenden und äußerten, dass sie minderjährig seien und von dem Dargestellten schockiert seien. Ein als homophob bekannter anwesender St. Petersburger Politiker schaltete sich ein und behauptete, dass die LGBT Organisationen die Minderjährigen zur Teilnahme gezwungen hätten.
Die bizarre Situation löste sich schnell auf, doch 15 Minuten später wurde die Filmvorführung aufgrund einer Bombendrohung evakuiert.
Die Mitglieder von "Coming Out" hoffen, dass sie solche Störungen während des QueerFest vermeiden können. Wegen der einschränkenden Gesetze versuchen sie alles, um einen "angemessenen" Rahmen sicher zu stellen.
Die Festivalorganisator_innen vollführen einen Balanceakt, indem sie nicht die Gesetze brechen und gleichzeitig nicht die Botschaft an die LGBT Community senden wollen, dass sie die Gesetze befürworten.
" Das gravierendste Ergebnis des (Propaganda Gesetzes) ist, dass es homophobes Verhalten rechtfertigt und grünes Licht für homophobe Gewalt signalisiert" sagte mir Polina.
Das ist der Trend, den sie und andere LGBT Aktivist_innen bekämpfen.
"Wir sind in Russland, wir lieben unser Land und wir arbeiten an Verbesserungen. Die Verteidigung von Menschenrechten und LGBT Rechten hilft uns, die russische Gesellschaft zu verbessern", sagte sie.
Das Ziel: eine Gesellschaft, in der ein Filmfestival ohne Bombendrohungen stattfinden kann. Eine Gesellschaft, in der jede/r frei über sich reden kann, ohne dass es als "Propaganda" bezeichnet wird. Eine Gesellschaft, in der jede/r Tango tanzen kann mit einer selbst gewählten Person, ohne Angst zu haben, dafür angegriffen oder ermordet zu werden.
Trotz des sich rapide verkleinernden Raumes für die Meinungsfreiheit in Russland äußern dort weiterhin viele Menschen ihre Ansichten. Vom 6. bis 12. Oktober zeigten Aktivist_innen von Amnesty International während einer Aktionswoche ihre Solidarität, um die russische Regierung wissen zu lassen, dass der Rest der Welt nicht ruhig zusieht.