Zahlreiche Männer, die schwul sind oder auch nur dafür gehalten wurden, sind in den vergangenen Jahren getötet worden, einige wurden davor noch gefoltert. Diese Gewalttaten gegen schwule Männer geschahen nicht im luftleeren Raum -- islamische Geistliche und andere Persönlichkeiten haben Homosexualität in öffentlichen Stellungnahmen häufig verurteilt.
Seit der Invasion von 2003 gibt es häufig Meldungen über Angriffe auf schwule Männer, darunter auch tödliche. Qassim, ein 40-jähriger Friseur aus Bagdad, der heute als Flüchtling in Jordanien lebt, berichtete Amnesty International im Juni 2006 von zahlreichen Vorfällen in Bagdad im August und September 2004, die sich gegen schwule Männer richteten: "Ich war mit meinem Freund im Fitnessstudio. Als er zu meinem Auto hinausging, um eine Flasche Wasser zu holen, wurde er draußen erschossen. Ich hatte panische Angst und habe mich versteckt." Etwa zwei Wochen später wurden zwei seiner Freunde in Bagdad umgebracht. Und wenige Tage später wurde ein Sprengsatz auf sein Auto geworfen, als er beschlossen hatte, den Irak zu verlassen.
Nach Angaben der Vereinten Nationen wurden zwischen Oktober 2005 und Mai 2006 mindestens zwölf Personen wegen ihrer sexuellen Orientierung getötet, also in dem Zeitraum, in dem die Website des Großayatollah Ali Al-Sistani in einer Fatwa (religiöses Gutachten) zur Tötung von Homosexuellen "so hart wie möglich" aufrief.
In den ersten Monaten des Jahres 2009 wurden mindestens 25 Männer und männliche Jugendliche wegen ihrer sexuellen Orientierung oder wegen der von ihnen gelebten Geschlechterrolle getötet. Am meisten verbreitet war dies im überwiegend schiitischen Bezirk Sadr City. Berichten zufolge sollen die Täter Verwandte der Opfer sein sowie Mitglieder der Mahdi Armee, Anhänger des schiitischen Geistlichen und politischen Anführers Moqtada al-Sadr. Viele der Opfer wurden gefoltert, ihre Leichen verstümmelt und auf die Straße geworfen. Viele andere Männer und Jugendliche sind aus dem Irak geflohen, nachdem man ihnen mit dem Tode gedroht hatte. Im April 2009 befragte Amnesty International einige Iraker, die kurz zuvor vor der Gewalt im Land geflohen waren, der sie als schwule Männer ausgesetzt waren. Hakim, ein 34jähriger Mann aus Najaf, berichtete, dass sein Partner von Mitgliedern der Mahdi Armee entführt und misshandelt worden war, nachdem sie offenbar von der heimlichen Beziehung der beiden erfahren hatten. Nachdem er wieder frei gekommen war, erhielten beide Todesdrohungen von der Mahdi Armee, mit einer der Botschaften wurden drei Pistolenkugeln geschickt.
Ein 41 Jahre alter Mann aus dem Bagdader Bezirk Hayy Ur berichtete der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, dass ein mit ihm befreundeter schwuler Mann im Februar 2009 von Mitgliedern der Mahdi Armee angegriffen und getötet worden war, als er mit seinen Freunden in seinem Viertel unterwegs war. Der Mann selber überlebte eine Entführung durch Mitglieder der Mahdi Armee, die ihn am 06. März 2009 mit vorgehaltener Waffe zwangen, aus seinem Laden herauszukommen. Während dieser Entführung misshandelten ihn die Mitglieder dieser bewaffneten Gruppe, u.a. schlugen sie ihn bis zur Bewusstlosigkeit und vergewaltigten ihn mit einem Besenstiel. Erst als seine Familie ein Lösegeld für ihn gezahlt hatte, kam er wieder frei, die Entführer drohten aber, ihn umzubringen, sollte er nach seiner Rückkehr das Haus verlassen. Einen Monat lang verließ er das Haus nicht und floh dann aus Bagdad. Die Welle von Angriffen auf schwule Männer Anfang 2009 fiel zeitlich mit öffentlichen Erklärungen islamischer Geistlichter zusammen, insbesondere im Viertel Al-Sadr City, in denen diese ihre Anhänger geradezu drängten, aktiv für die Ausrottung der Homosexualität in der irakischen Gesellschaft zu sorgen. Sie bedienten sich dabei einer Sprache, die gezielt zu Gewalttaten gegen Männer aufstachelte, die als schwul bekannt sind oder von denen man glaubt, dass sie schwul seien.
LIZENZ ZUM TÖTEN SCHWULER MÄNNER
Schwule Männer werden ähnlich wie Frauen durch Gesetze diskriminiert, die Tätern mildernde Umstände zubilligen, wenn diese aus "ehrenwerten Beweggründen" ein Verbrechen begangen haben. Irakische Gerichte legen Bestimmungen des Artikels 128 des Strafgesetzbuches nach wie vor als Rechtfertigung dafür aus, das Strafmaß von Angeklagten drastisch zu reduzieren, die einen schwulen Mann angegriffen oder gar getötet haben, mit dem sie verwandt waren, sofern die Angeklagten angaben, die Tat begangen zu haben um [die Familie] (Ergänzung des Übersetzers) "von der Schande rein zu waschen". Der Irakische Kassationsgerichtshof bestätigte in einem Urteil, dass die Tötung eines männlichen Verwandten, der homosexuellen Verhaltens verdächtigt wird, als "Verbrechen mit ehrenwertem Beweggrund" zu gelten habe und dass somit die Voraussetzungen für eine Strafminderung nach Artikel 128 gegeben seien. Obwohl die Bestimmungen des Artikels 128 in der Region Kurdistan durch das Gesetz Nr. 14 von 2002 ergänzt worden sind und daher nicht mehr bei Verbrechen Anwendung finden, die an Frauen begangen werden, sind diese im Bezug auf schwule Männer als Verbrechensopfer immer noch im ganzen Irak gültig. So bestätigte zum Beispiel das Kassationsgericht der Region Kurdistan am 24.Oktober 2005 die Verurteilung wegen Mordes zu einer einjährigen Gefängnisstrafe gegen einen Mann aus Koysinjak, der zugegeben hatte, zu einem früheren Zeitpunkt in 2005 seinen schwulen Bruder umgebracht zu haben. Das Gericht befand, er habe seinen Bruder aus "ehrenwerten Beweggründen" getötet, da er "der Schande habe ein Ende setzen wollen, die das Opfer (des Verbrechens) durch seinen lasterhaften Lebenswandel, homosexuelle Handlungen und Hurerei über die Familie gebracht" habe. Das Gericht befand die einjährige Haftstrafe für einen vorsätzlichen Mord in diesem Fall ebenfalls für angemessen , ein Verbrechen, auf das im Irak ansonsten die Todesstrafe steht. Straflosigkeit bzw. zumindest unangemessen milde Freiheitsstrafen für Morde an schwulen Männern durch ihre Verwandten scheinen im Irak eher die Regel als die Ausnahme darzustellen.
SCHUTZLOS
Eine Gruppe schwuler Männer stellt Berichten zufolge gefährdeten Personen in Notfällen eine geschützte Unterkunft an geheimen Orten in Bagdad bereit. Von den Behörden dürfen Mitglieder der schwulen Community jedoch keinerlei Beistand erwarten, wenn ihnen Gewalt oder die Ermordung droht, nicht einmal wenn ein dringendes Schutzbedürfnis besteht. Ganz im Gegenteil: Angehörige der "Sicherheitskräfte" und möglicherweise auch anderer staatlicher Stellen scheinen in einigen Fällen dazu angespornt zu haben, dass Menschen zur Zielscheibe von Angriffen gemacht wurden, denen man gleichgeschlechtliche Beziehungen nachsagte, was eine eklatante Verletzung des Gesetzes und der internationalen Menschenrechtsmaßstäbe darstellt. So erzählte ein Polizeibeamter im Bagdader Bezirk Karada Berichten zufolge den Medien, Homosexualität sei "gegen das Gesetz" und die Polizei nehme an einer Kampagne teil, um "die Straßen zu säubern und die Bettler und Homosexuelle von dort weg zu bekommen".
Übersetzung: Thomas Kolb