„Ich will nicht mehr schwul sein! Wenn ich zum Bäcker gehe, habe ich Angst. Und wenn es an der Tür klingelt, denke ich: Jetzt holen Sie mich!“. Mit dieser erschütternden Aussage zitiert die BBC auf ihrer Website Hussein, einen 32-jahrigen Iraker aus Bagdad. Seit dem Einmarsch der US-geführten Truppen in das Zweistromland versinkt der Irak nicht nur zusehends in einem Chaos aus Bombenanschlägen, Entführungen und Attacken von unterschiedlichen bewaffneten Gruppen, sondern es mehren sich auch die Berichte darüber, dass Lesben, Schwule und Transsexuelle gezielt verfolgt und ermordet werden.
Hussein sagt von sich selbst, er falle wegen seiner femininen Art auf und werde angefeindet. „Wenn Du ihn in dem allgemeinen Chaos jetzt umbringst, wird dich keiner zur Rechenschaft ziehen. Und so bist Du wenigstens diese Familienschande los.“, bekam Husseins Bruder von seinen Freunden gesagt. Hussein kannte die transsexuelle Dina, die 2006 auf dem Weg zu einer Feier ermordet wurde.
Für den Hass und die Gewalt gegen sexuelle Minderheiten wird neben den bürgerkriegsähnlichen Zuständen nicht zuletzt die Geistlichkeit verantwortlich gemacht. Der höchste schiitische Geistliche des Landes, Großayatollah Ali Al-Sistani veröffentlichte 2006 eine Fatwa (religiöses Gutachten) im Internet (www.sistani.org), in der für Homosexualität die „Tötung auf schlimmste Art und Weise“ als Bestrafung gefordert wurde. Die Fatwa wurde, nachdem sie im Ausland bekannt und scharf kritisiert worden war, wieder von der Website entfernt. Ein Sprecher Al-Sistanis, Seyed Kashmiri, erklärte der BBC beschwichtigend: „Lesben und Homosexuelle [sic!] werden nicht dafür umgebracht, wenn sie ihre Neigungen das erste Mal ausleben. Es müssen mehrere Voraussetzungen erfüllt sein, die von den Juristen definiert werden, bevor eine solche Strafe zur Anwendung kommt. […] Einige Urteile werden von den Juristen nur auf theoretischer Grundlage erstellt. Nicht alles wird jedoch auch in die Praxis umgesetzt.“
An diesem letzten Satz sind jedoch Zweifel angebracht. Bewaffnete Gruppen stehen im Verdacht, gezielt Lesben, Schwule und Transsexuelle anzugreifen und in einigen Fällen zu töten. Es wird auch vermutet, dass Teile der irakischen Sicherheitskräfte daran beteiligt sind, z.B. die Brigade Wolf, eine dem Innenministerium unterstehende Sondereinheit, die zuvor schon anderer Gewaltakte beschuldigt wurde, z.B. der Folter an im Irak lebenden Palästinensern. (AI Index: MDE 14/030/2006). Sowohl der von der BBC zitierte Hussein als auch Aktivisten der vor allem in Großbritannien ansässigen Gruppe Iraqi LGBT beschuldigen die Badr-Miliz der SCIRI (Oberster Rat für die Islamische Revolution, größtes Mitglied der Vereinigten Arabischen Allianz, die 2006 die Wahlen gewonnen hat), Lesben und Schwule zu töten (http://iraqilgbtuk.blogspot.com). Iraqi LGBT spricht von „sexueller Säuberung“ (in Anspielung auf „ethnische Säuberung“) und zählt eine Reihe von Getöteten namentlich auf – in zwei Fällen sollen sogar Angehörige von schwulen Männern bedroht und in einem Fall getötet worden sein, weil sie nicht bereit waren, diese preiszugeben. In einem Bericht der Vereinten Nationen wird Iraqi LGBT zitiert, 26 ihrer Mitglieder seien seit 2003 umgebracht worden, darunter auch zwei minderjährige männliche Zwangsprostituierte. (UN Assistance Mission for Iraq, Human Rights Report 01 November – 31 December 2006). Mindestens fünf schwule Männer, so das UN-Papier, seien Berichten zufolge im Shaab-Viertel Anfang Dezember 2006 von einer der größten bewaffneten Gruppe entführt worden, die auch ihre persönlichen Papiere und Computer konfiszierte. Die verstümmelte Leiche eines der Entführten wurde wenige Tage später im selben Stadtviertel aufgefunden.
Unklar ist, ob Homosexualität im Irak strafbar ist. Der UN-Report verneint dies, die Formulierungen des neuen Familiengesetzbuches von 2003 sind in diesem Punkt nicht eindeutig. Das Menschenrechtsbüro der UN-Hilfsmission im Irak zeigt sich alarmiert über Meldungen, von Geistlichen geführte sogenannte „Islamische Gerichte“, die keine staatliche Befugnis haben, würden Homosexuellen den Prozess machen, sie zum Tode verurteilen und hinrichten lassen. Diese Gerichte haben sich, nach einem Bericht des Institute for War and Peace, auf dem Nährboden der herrschenden Gesetzlosigkeit und Abwesenheit der staatlichen Autorität im Land in vielen schiitischen Städten und Stadtvierteln etabliert und genießen in der Bevölkerung Unterstützung (ICR No. 199, 20-Oct-06). Von der staatlichen Polizei haben die Bedrohten wenig zu erhoffen, gilt diese doch als von bewaffneten Gruppen unterwandert. „Polizisten haben mich mehrfach unter Waffenandrohung vergewaltigt und mir damit gedroht, mich einer Miliz auszuliefern, falls ich mich wehre“, berichtete der 35-jährige Thamir dem Institute for War and Peace. Er sei monatelang inhaftiert gewesen und im Gefängnis gefoltert worden. Nun scheint ihm die Saddam-Ära geradezu als die „goldene Epoche“, denn damals sei Homosexualität wenigstens stillschweigend geduldet worden. „Jetzt bin ich völlig in Panik, denn ich muss jeden Moment damit rechnen, geköpft oder erschossen zu werden.“ In diesem Punkt stimmt der eingangs erwähnte Hussein zu: „Saddam war ein Tyrann. Aber selbst damals hatten wir mehr Freiheit!“
von Thomas Kolb
Der zitierte BBC-Bericht kann nachgelesen werden unter: <link news.bbc.co.uk/2/hi/middle_east/4915172.stm>http://news.bbc.co.uk/2/hi/middle_east/4915172.stm</link>
Übersetzung der Fatwa:
Frage: Was ist das Urteil für Sodomie und Lesbierinnen?
Antwort: “Verboten. Die an der Handlung Beteiligten sollen bestraft werden. Sodomiten verdienen es, in der schlimmsten Art und Weise hingerichtet zu werden.“
erstellt am: 13.03.2007