Die Konferenz wurde durch die LGBT-Organisation Nash Mir mit Unterstützung der britischen und norwegischen Botschaften organisiert. Referent_innen aus der Tschechischen Republik, Litauen, der Republik Moldau und Polen sprachen zur Lage in ihren Ländern. Die Hauptrednerin Sophie in't Veld (1) eröffnete die Konferenz mit den Worten: "[...] es ist erst drei Jahre her, dass ein AntiPropaganda Gesetz nach dem russischen Muster im ukrainischen Parlament besprochen wurde. [...] Man muss mehr tun, um die Verhaltensweisen zu ändern. LGBT-Menschen muss das Gefühl ermöglicht werden, dass sie wirklich sicher und frei sind.
Auch der stellvertretende ukrainische Minister für Justiz, Serhily Petukhov, sprach auf der Konferenz:
"[...] die Frage von Nicht-Diskriminierung im Allgemeinen und LGBT-Menschenrechten im Besonderen ist ein Teil der politischen Tagesordnung geworden. [...] Wir können es uns nicht aussuchen, welche Menschenrechte wir schützen; Rechte und Freiheiten müssen für alle garantiert werden." Neben dem Schutz der Menschrechte für LGBT betonte der Minister, dass der Kampf gegen die weit verbreitete Korruption von extremer Wichtigkeit sei. Es gibt viel zu tun, um LGBT-Menschen vor Diskriminierungen zu schützen. So haben nach einer Umfrage ca. 60% der Bevölkerung negative Einstellungen gegenüber LGBT-Menschen, lediglich 3% äußerten eine positive Meinung. In ländlichen Gebieten haben sogar 67% der Menschen eine negative Einstellung, in den Städten sind es nur 54% bis 58%. (2)
Viele Redner_innen auf der Konferenz berichteten von aktuellen Problemen, aber auch von errungenen Fortschritten seit dem Kiewer Marsch für Gleichheit 2015. Als "Ursachen" für die Schwierigkeiten sind vier Punkte zu benennen: konservative und fundamentalistische Einstellungen innerhalb der orthodoxen Kirche, Korruption und die schwächelnde Wirtschaft, (3) Propaganda im Russischen Fernsehen, Angriffe auf die territoriale Integrität der Ukraine.
Zu den Fortschritten gehört im Arbeitsrecht die Verabschiedung des Gesetzesentwurfs zum Verbot der Diskriminierung von LGBT am Arbeitsplatz. Doch Nash Mir zufolge waren Vertreter_innen der orthodoxen Kirche alarmiert durch den Versuch dieser Gesetzesänderung und riefen Parlamentarier_innen auf, es nicht zu verabschieden. Ein Teilnehmer erwähnte den Krim-Konflikt und stellte die Frage, wie es möglich sein kann, dass viele Schwule den russischen Einmarsch unterstützten, obwohl Homosexualität in Russland teilweise verbannt ist. Er stellte die These auf, dass kulturelle Identität und Glaube stärker seien als die Zugehörigkeit zur LGBT-Gruppe und zu ethnischen Gefühlen. Ein Redner aus dem besetzen Gebiet berichtete, dass Klubs und Cafés geschlossen seien und sich viele zu Hause in Todesangst einschließen würden.
Der Einfluss des russischen Fernsehens wurde unter anderem vom stellvertretenden Minister für Justiz der Ukraine betont: "Es ist bekannt, dass manche unserer Nachbarn sehr engstirnige Maßnahmen in Bezug auf Nicht-Diskriminierung haben. [...] die russischen Medien [...] benutzen die LGBT-Themen als eine der Hauptgründe gegen die Ukraine".
Der Autor des Artikels sprach auf der Konferenz über die Wichtigkeit von Kultur, Ausstellungen, Filme etc. in Kampagnen von Queeramnesty. Insgesamt war es eine lohnenswerte, bildende und interessante Konferenz, die hoffentlich die ukrainischen LGBT-Menschen und ihre Bewegung gestärkt hat.
Queeramnesty und die deutsche Amnesty Ukraine-Gruppe planen im Herbst eine öffentliche Veranstaltung mit einem LGBT-Aktivisten aus der Ukraine und weitere Gespräche.
PS: Die Gewalt gegen LGBT-Personen wurde nur drei Tage nach der Konferenz in Kiew bitter bestätigt, als in Lwiw ein schwul-lesbisches Kulturfest in einem Hotel von 200 rechts orientierten Schlägern gestürmt wurde, so dass die Polizei die Teilnehmer_innen in Bussen evakuieren musste. Amnesty Ukraine sagte zum Vorfall: "Diese Gewalt gegen die LGBT-Gemeinschaft wird durch die Straffreiheit der Täter befördert." Die Polizei teilte laut örtlichen Medien mit, dass keiner der Angreifer festgenommen wurde, jedoch hätten die Beamten "pädagogische Gespräche" mit ihnen geführt.
Colin de la Motte-Sherman
1 Mitglied des Europäischen Parlaments; Vizepräsidentin der interfraktionellen Arbeitsgruppe des EU-Parlaments für LGBTFragen (kurz: LGBT Intergroup).
2 Quelle: Beilage zu Konferenz basierend auf Forschungen des Kiev International Institute of Sociology.
3 Das Bruttoinlandsprodukt der Ukraine schrumpfte um mehr als 12%. Die Währung verlor über die Hälfte ihres Wertes [...] was der Mehrheit der Ukrainer_innen weitere Not brachte. Die Lebensbedingungen in den von Separatist_innen kontrollierten Gebieten sanken weiterhin deutlich." (zitiert nach dem Amnesty Jahresbericht.)