Graffiti in der Mohamed Mahmoud Street
Graffiti in der Mohamed Mahmoud Street, Kairo, Oktober 2012, © Amnesty International – Foto: © Amnesty International

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Mit der Verurteilung 16 weiterer Personen wegen „Ausschweifungen“ zu drei Jahren Haft mit anschließender dreijähriger Bewährungsstrafe, steigt die Zahl der Verurteilten aufgrund ihrer vermeintlichen sexuellen Orientierung seit dem 22. September auf 49 an.

05. Dezember 2017
UA-Nummer UA-231/2017-2
AI Index MDE 12/7525/2017
Verurteilt: 49 LGBTI
inhaftiert: 53 LGBTI
darunter:Frau Sara Hegazy

Sachlage

Das Gericht für minderschwere Straftaten im Bezirk al-Azbakeya der ägyptischen Hauptstadt Kairo sprach am 26. November 14 Personen und am 3. Dezember eine weitere wegen "Anstiftung zu Ausschweifungen" schuldig. Ein anderes Kairoer Gericht verurteilte am 27. November zwei weitere Personen wegen desselben Vorwurfs. Bis über ihr Rechtsmittel entschieden wird, ordneten beide Gerichte die Freilassung der Verurteilten gegen eine Kaution von 5.000 Ägyptischen Pfund (knapp 240 Euro) an. Nicht alle Betroffenen konnten diese Summe aufbringen. Alle Angeklagten wurden zu drei Jahren Haft mit anschließender dreijähriger Bewährungsstrafe verurteilt. Damit steigt die Zahl derjenigen auf 49 an, die seit Beginn des massiven Vorgehens der ägyptischen Behörden gegen die LGBTI-Community am 22. September wegen ihrer vermeintlichen sexuellen Orientierung verurteilt wurden. Weitere 53 Personen sind nach wie vor inhaftiert.

Bisher wurden in Ägypten Personen, denen gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen unterstellt wurden, unter dem Prostitutionsgesetz Nr. 10 von 1961 wegen "Ausschweifungen" angeklagt, wofür eine Haftstrafe von bis zu drei Jahren verhängt werden kann. Das Prostitutionsgesetz ist sprachlich sehr allgemein gehalten. Begriffe wie "Ausschweifungen" sind in der ägyptischen Rechtsprechung nicht definiert, was den vorsitzenden Richter*innen einen breiten Interpretationsspielraum ermöglicht.

An mindestens fünf der festgenommenen Personen wurden gegen deren Willen Rektaluntersuchungen vorgenommen. Dieses Vorgehen verstößt gegen das im Völkerrecht verankerte absolute Verbot von Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe.

Hintergrundinformation

Laut der Menschenrechtsorganisation "Ägyptische Initiative für persönliche Rechte" ist die Zahl der Personen, die in Ägypten aufgrund ihrer vermeintlichen sexuellen Orientierung festgenommen wurden, von 57 auf mindestens 102 Menschen angestiegen. Die Festnahmen erfolgten im Anschluss an ein Konzert von Mashrou' Leila in der Hauptstadt Kairo am 22. September, auf dem Regenbogenflaggen geschwenkt wurden.

Im ägyptischen Parlament haben sich 67 Abgeordnete für einen Gesetzentwurf ausgesprochen, der "gleichgeschlechtliche Beziehungen" in Ägypten unter Strafe stellen würde. Die Gesetzesvorlage soll noch in der aktuellen Sitzungsperiode im Parlament geprüft und debattiert werden. Sollte sie angenommen werden, müsste sie noch dem Präsidenten zur Unterzeichnung vorgelegt werden. Je nach Art der Anklage sieht der Gesetzentwurf bis zu 15 Jahre Haft für die Betroffenen vor. Um im ägyptischen Parlament einen Gesetzentwurf zu diskutieren, müssen sich mindestens 60 Abgeordnete mit ihrer Unterschrift dafür ausgesprochen haben.

Die Einbringung der neuen Gesetzesvorlage erfolgte im Anschluss an ein Konzert von Mashrou' Leila in der Hauptstadt Kairo am 22. September, auf dem Regenbogenflaggen geschwenkt wurden und in dessen Folge die Behörden scharf gegen LGBTI-Personen vorgingen. Festgenommen wurden zwei Personen, die auf dem Konzert Regenbogenflaggen geschwenkt haben sollen, sowie weitere Personen aus Kairo, Ismailia, Damiette und Scharm asch-Schaich, die nicht auf dem Konzert waren, aber ebenfalls wegen ihrer vermeintlichen sexuellen Orientierung ins Visier genommen wurden. Darüber hinaus bedienten sich die Behörden verschiedener Online-Datingseiten, um vermeintliche LGBTIs ausfindig zu machen und sie festzunehmen. Sara Hegazy ist eine der Personen, die derzeit von den Sicherheitskräften verhört werden.

Als Konzertbesucher_innen in Kairo Regenbogenflaggen schwenkten, forderten die lokalen Medien empört, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Daraufhin kündigte die ägyptische Staatsanwaltschaft am 25. September an, unter dem Verdacht auf Förderung "gewohnheitsmäßiger Ausschweifungen" und "Homosexualität" Untersuchungen einleiten zu wollen. Zudem wurde die Staatsanwaltschaft für innere Sicherheit angewiesen, Untersuchungen gegen diejenigen einzuleiten, die Fahnen geschwenkt hatten.

Am 27. November verlängerte die Staatsanwaltschaft die Inhaftierung von Sara Hegazy und einer weiteren Person um 15 Tage. Gegen beide werden dieselben Vorwürfe erhoben, zudem sind sie zusätzlich noch wegen "Mitgliedschaft in einer verbotenen Gruppe" angeklagt. Bei einem Schuldspruch drohen ihnen laut Strafgesetzbuch und dem Gesetz zur "Bekämpfung der Prostitution" bis zu 15 Jahre Haft.

Der Oberste Medienrat veröffentlichte eine Stellungnahme, in der allen Medienunternehmen verboten wurde, LGBTI-Personen zu unterstützen oder sich mit ihnen zu solidarisieren. Stattdessen wurden sie aufgefordert, "gewohnheitsmäßige Ausschweifungen" und LGBTI-Personen bloßzustellen, da sie "nicht den Traditionen und der Kultur der ägyptischen Gesellschaft entsprechen" und da "dieses LGBTI-Phänomen nun ein Ende haben muss".

Dies ist die schlimmste Kampagne staatlich sanktionierter Homosexuellenfeindlichkeit in der jüngeren Vergangenheit Ägyptens, allerdings leider kein Einzelfall. Im Jahr 2001 wurden bei einer Razzia auf dem Schiff "Queen Boat", einem Nachtclub auf dem Nil, 52 Personen festgenommen und 23 Männer unter dem Prostitutionsgesetz vor Gericht schuldig gesprochen und verurteilt. Laut der Menschenrechtsorganisation "Ägyptische Initiative für persönliche Rechte" waren bereits vor den Vorfällen der letzten Wochen in den vergangenen vier Jahren etwa 250 Männer wegen ihrer vermeintlichen sexuellen Orientierung festgenommen und vor Gericht gestellt worden.

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