Seit dem Ausbruch der Al Aksa Intifada tendiert nicht nur der politische, sondenn auch der gesellschaftliche Dialog zwischen Israelis und Palästinensern gegen null. In der LGBT-Bevölkerung spiegelt sich die Vielfalt von Religionen und Kulturen des Landes wider, der israelisch-palästinensische Konflikt jedoch nicht. So ist der Pub Leila in Jerusalem ein lesbischschwuler Treffpunkt, den auch Heterosexuelle aufsuchen, weil er sich als eine Nische des israelisch-palästinensischen Dialogs herumgesprochen hat. im Independent Garden, einem Park in der Stadtmitte, treffen sich palästinensische wie jüdische Schwule. Und das Open House in Jerusalem ist ein Zentrum für Lesben und Schwule, gleich ob israelisch oder palästinensisch. Dass mehrere der vom Open House betreuten Gruppen sich nur außerhalb des Zentrums treffen, liegt nicht etwa an einem befürchteten Zusammenstoß der religiös-kulturellen Unterschiede innerhalb des Hauses, sondern an der Angst der Gruppenmitglieder, beim Betreten des Gebäudes gesehen zu werden und sich somit als homosexuell zu outen. Homosexualität offen zu leben ist in Israel/Palästina keinesfalls selbstverständlich, weder für Israelis noch für Palästinenser.
"In Israel gibt es seit 15 Jahren kein diskriminierendes Gesetz mehr. Seitdem hat sich vieles positiv verändert", so der Israeli Daniel Weishut, Psychotherapeut, Begründer der seit fünf Jahren existierenden ai-LGBT-Gruppe Israel und Mitbegründer des Open House. Die jüngere Generation von Israelis ist LGBT gegenüber offener geworden, und auch die Armee ist inzwischen relativ tolerant, und das nicht nur Homosexuellen, sondern auch Transgender gegenüber. Da in Israel Einzelpersonen Kinder adoptieren dürfen, wird dies auch Homosexuellen nicht verwehrt. Homophobie ist trotzdem noch immer gesellschaftlicher Alltag.
Auch unter den säkularen Juden leben viele ihre Homosexualität versteckt. Noch problematischer ist es für die orthodoxen und ultraorthodoxen Jüdinnen und Juden. Zur Zeit des Gay Pride in Jerusalem im letzten Jahr gab es Gegendemonstrationen, und im Open House wurde mehrfach eingebrochen.
"In der palästinensisch-arabischen Gesellschaft wird Homosexualität stark verurteilt - stärker, als Transgender zu sein", erläutert Daniel. Dass man sich im falschen Geschlecht geboren fühlt, wird eher akzeptiert und verstanden, als dass man sich von einer Person des eigenen Geschlechts sexuell angezogen fühlt.
Denn dies läuft der festgelegten (hetero-) sexueIlen Verhaltensweise, die den Geschlechtern zugeordnet wird, zuwider. in Israel/Palästina kann man nach Angaben von Haneen Maikey, die Gemeindesozialarbeiterin ist und im Open House lesbisch-schwule Gruppen leitet, drei verschiedene palästinensische Gesellschaften unterscheiden, in denen auch Homosexualität unterschiedlich gesehen und gelebt wird: die palästinensische Gesellschaft in Israel, in Alt- und Ostjerusalem und im besetzten Palästina. In Israel sind die palästinensischen Lesben und Schwulen weniger an Traditionen gebunden und ihrer eigenen Homosexualität gegenüber offener eingestellt als Palästinenser in anderen Gebieten. Sie verstehen sich selbst als homosexuell und leben homosexuelle Beziehungen. Die wenigsten allerdings tun dies offen, die Angst vor gesellschaftlicher Kontrolle und Ausgrenzung ist groß. Haneen berichtet, dass Palästinenser Scheu hätten, im Open House einem anderen Palästinenser zu begegnen. Sie fürchten, in ihren Familien geoutet zu werden. Haneen kennt kaum offen homosexuell lebende Palästinenser.
Aus Ostjerusalem kennt Haneen ca. 30 Männer, die zwar mit Männern Sex haben, sich jedoch ihrem Selbstverständnis nach nicht als homosexuell bezeichnen würden. Oftmals sind sie verheiratet und haben Kinder. Sie trennen persönliche Sexualität und gesellschaftliche Identität stark voneinander. Demnach kann man als Mann mit Männern Sex haben, aber keine partnerschaftliche Beziehung führen. Haneen ergänzt: "Es gibt eine 'Deadline' bei den Palästinensern Ostjerusalems: Bis 30 muss ein Mann verheiratet sein. Davor kann er zumindest heimlich mit Männern Sex haben - eher noch als mit Frauen." Im Alltag berühren und küssen in Ostjerusalem Männer einander und Frauen andere Frauen wie selbstverständlich, ohne dass damit jemals Homosexualität verbunden würde. Diese ist absolutes Tabu.
Im besetzten Palästina wird Homosexualität vollkommen versteckt gelebt. Haneen hat nur über Email und Telefon Kontakt zu Schwulen. Bisher hörte sie zwar von niemandem persönlich, dass er aufgrund seiner Homosexualität misshandelt worden sei, es gibt jedoch Äußerungen von schwulen Flüchtlingen aus dem besetzten Palästina, die von Verfolgung, Inhaftierung und Misshandlung berichten. Diese ca. 50 Flüchtlinge leben nun im GanHachscheschmal-Park in Tel Aviv. Ihr Aufenthaltsstatus ist ungeklärt. Wie alle Palästinenser dürfen sie nicht in Israel leben, sie werden jedoch auch nicht, wie sonst üblich, zurück ins besetzte Palästina abgeschoben. Sie leben obdachlos und verdienen ihren Unterhalt mit Prostitution.
Lesben in Ostjerusalem oder in den besetzten Gebieten leben noch versteckter und bleiben "unsichtbar". Schwule aus diesen Gebieten konnten Haneen bisher keine Auskunft über Lesben geben.
Um zum Schutz von Einzelnen beitragen zu können, plant Haneen ein Internet-Netzwerk für LGBT. Über Email verbreitet sie Artikel und Links und versucht hiermit, Lesben und Schwulen in Palästina zu helfen. Haneen und Daniel arbeiten zur Zeit, unterstützt von amnesty international, an einem arabischsprachigen Flyer über sexuelle Identität.
Bettina Kaut, Hamburg