Während sich in Beirut trendige Bars und Clubs für eine offen schwul-lesbische Kundschaft etablieren, herrscht im Land allgemein die Auffassung, Homosexualität sei verwerflich und pervers. Dazu kommt, dass lesbischer oder schwuler Sex als Verbrechen gilt. Homosexualität wird in den libanesischen Gesetzen nicht erwähnt, doch eine Anklage nach Artikel 534, der „widernatürlichen Geschlechtsverkehr" mit einem Jahr Haft bestraft, führt dazu, dass sich Lesben und Schwule bei einer missbräuchlichen Anwendung dieses Artikels nicht wehren können.
Als zwei Lesben im August 2002 wegen ''unnatürlichen Geschlechtsverkehrs" verhaftet wurden, erkannte man, wie gefährdet libanesische Schwule und Lesben nach wie vor sind. Die Mutter einer der Frauen klagte sie des Diebstahls an, um gegen die lesbische Beziehung vorzugehen. Die betroffenen Frauen erklärten, eine jahrelange Beziehung zu führen und heiraten zu wollen. Daraufhin ließ Staatsanwalt Shawki Hajjar sie in unterschiedlichen Arrestzellen unterbringen. Die Polizei entdeckte die lesbische Beziehung der als sie eine ihrer Wohnungen stürmten weil sie angeblich Geld und Schmuck der Mutter gestohlen hatten.
Es ist kein Zufall, dass der Vorwurf des "widernatürlichen Geschlechtsverkehrs" einhergeht mit anderen Anklagepunkten. Der libanesische Menschenrechtler Nizar Saghiyeh führt dies darauf zurück, dass damit eine öffentliche Debatte zum Thema Homosexualität verhindert werden soll.
Wohlhabende Libanesen sind oft nach der letzten europäischen Mode gekleidet und sprechen fließend Französisch und Englisch. Doch trotz der gepflegten westlichen Lebensart hält sich der Zwang, eine Familie zu gründen und Kinder zu bekommen. Der Soziologe Sofian Merabet führt aus, dass es keine zusammenhängende Gruppe gibt, die als schwul-lesbische Community im Libanon gelten kann. Es existiert keine Menschenrechtsbewegung und nur vereinzelt Organisationen wie LEGAL, das Institut für die Gleichstellung der libanesischen Lesben und Schwulen. Etheram (arabisch für "Respekt"), eine andere schwule Jugendgruppe in Beirut, wurde 2001 gegründet.
Viele Menschenrechtler meinen, es sei noch zu früh, um schwul-lesbische Menschenrechte auf die politische Agenda zu bringen, da der Libanon noch mit den Auswirkungen des Bürgerkriegs von 1975 bis 1990 beschäftigt sei. Dennoch werden die libanesischen Menschenrechtler ungeduldig und meinen, dass eine Aufhebung des Artikels 534 ihr Anliegen vorwärts bringen kann. Nizar Saghiyeh jedoch verweist darauf, dass jegliche Kampagne zur Legalisierung von Homosexualität mit starkem Widerstand von Politikern und religiösen Anführern rechnen muss: Der Versuch, die Homoehe einzufahren, ist gescheitert. Außerdem ist das in der libanesischen Verfassung verankerte Prinzip des pluralen Konfessionalismus ein großes Hindernis auf dem Weg zu einer generellen Einigung über jegliche Form der Eheschließung. Bis heute existiert z.B. keine staatlich anerkannte standesamtliche Möglichkeit der Eheschließung für Personen unterschiedlicher Konfessionen.
Eva Gundermann, Berlin