UA-Nummer: UA-041/2020
AI Index: AFR 35/2043/2020
Sachlage
Die 33-jährige Domoina Ranabosoa befindet sich derzeit unter unmenschlichen Bedingungen im Gefängnis von Antanimora in Untersuchungshaft. Ihr wird vorgeworfen, mit ihrer 19-jährigen Freundin eine gleichgeschlechtliche Beziehung zu haben. In Madagaskar können einvernehmliche gleichgeschlechtliche Beziehungen mit unter 21-Jährigen mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden. Das Alter der sexuellen Mündigkeit liegt für Heterosexuelle dagegen bei 14 Jahren. Diese unterschiedliche Festlegung des Alters, ab dem jemand als „sexuell mündig“ gilt, ist eine klare Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung.
Die Haftbedingungen wirken sich massiv auf Domoina Ranabosoas psychische und körperliche Verfassung aus. So beklagte sie zahlreiche Flohbisse und die schlechte Qualität des Essens. Außerdem hat sie große Angst, von ihren Mithäftlingen angegriffen zu werden, da gleichgeschlechtliche Lebensweisen in Madagaskar ein Tabu sind. Wegen der momentanen Isolationsmaßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie kann sie weder Besuch von ihrem Rechtsbeistand noch von ihren Angehörigen erhalten. Außerdem wurde ihr Gerichtstermin auf unbestimmte Zeit vertagt. Sie könnte gezwungen sein, noch mehrere Monate in Untersuchungshaft auf die Verhandlung warten zu müssen. Die gegen sie verhängten Maßnahmen stellen eine Verletzung ihrer Rechte auf ein zügiges Verfahren, auf Kontakt zu Angehörigen und auf die Möglichkeit, gemeinsam mit einem Rechtsbeistand ihre Verteidigung vorzubereiten, dar.
Hintergrundinformation
Am 10. März wurde die 33-jährige Domoina im Gefängnis der madagassischen Hauptstadt Antanimora in Untersuchungshaft genommen. Wie in dem Bericht von Amnesty International aus dem Jahr 2018 "Bestraft weil sie arm sind: Übermäßige, ungerechtfertigte und verlängerte Untersuchungshaft in Madagaskar" dargelegt wird, sind die Haftbedingungen in Madagaskar unmenschlich, da die übermäßige und verlängerte Anwendung der Untersuchungshaft im ganzen Land zu einer starken Überbelegung geführt hat.
Die gegen Domoina erhobene Anklage lautet auf "Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger unter 21 Jahren", da sie beschuldigt wird, eine (einvernehmliche) Beziehung zu ihrer 19-jährigen Freundin Fyh zu haben. In Madagaskar bestraft das Strafgesetzbuch in Artikel 331 mit bis zu fünf Jahren Haft "jeden, der eine unanständige oder unnatürliche Handlung mit einer minderjährigen Person ihres eigenen Geschlechts, die weniger als 21 Jahre alt ist, begangen hat". Fyh und Domoina hatten beschlossen, zusammenzuziehen, eine Entscheidung, die Fyhs Mutter missbilligte und sie dazu veranlasste, Domoina nach dieser Bestimmung bei der Polizei anzuzeigen.
In einem Interview mit Amnesty International erklärte Fyh, die Freundin von Domoina, dass sie von ihrem Vater und Großvater im Alter von 6 bis 16 Jahren vergewaltigt wurde, wobei sie sich zwei Abtreibungen unterziehen musste (die ebenfalls nach madagassischem Recht kriminalisiert wurden). Nachdem sie Domoina getroffen und ihr ihre Probleme mitgeteilt hatte, fand Fyh schließlich den Mut, ihren Vater zu verklagen, und zu diesem Zeitpunkt wurde ihre Beziehung zu ihrer Mutter anstrengend, da ihre Mutter sie beschuldigte, die Einheit der Familie zu zerstören. Fyh glaubt, dass die Klage von ihrer Mutter vorangetrieben wird, die sich mit einem Angriff auf ihre Freundin rächen will.
Wegen der Bedrohung durch COVID-19 wurde Domoina mitgeteilt, dass sie keine Besuche ihres Anwalts oder ihrer Verwandten mehr empfangen kann und dass ihr ursprünglich für den 10. April angesetzter Prozess auf ein unbestimmtes Datum verschoben wurde. Wie aus früheren Recherchen von Amnesty International hervorgeht, setzt die Regierung Madagaskars die Untersuchungshaft missbräuchlich ein und zwingt die Gefangenen, unter unhygienischen und überfüllten Bedingungen zu leben. Angesichts der neuen Bedrohung durch COVID-19 müssen die Untersuchungshäftlinge noch länger auf ihre Gerichtsverhandlung warten, wobei sie Gefahr laufen, krank zu werden.