ai-JOURNAL: Warum haben Sie die „Gay Pride-Parade” abgesagt?
Boban Stajanovic: Wir wollten eine „Gay Pride-Parade“ veranstalten, wollten der Öffentlichkeit zeigen, dass wir als Homosexuelle in Serbien existieren und die Frage der Rechte von sexuellen Minderheiten nicht etwas Sonderbares ist, sondern eine politische Frage. Wir wollten heraus auf die Straße und unsere Ansichten so vielen Leuten wie möglich präsentieren. Aber wir sind mit unserer Initiative auf unüberwindbare Hindernisse gestoßen. Obwohl die Polizei guten Willen zeigte, mussten wir mit Übergriffen von rechtsextremen Gruppen aus dem Milieu der Fußballhooligans rechnen. Um die Sicherheit der Teilnehmenden zu gewährleisten, wäre uns nichts anderes übrig geblieben, als einen Sicherheitsdienst mit dem Schutz der Parade zu beauftragen. Bereits zugesagte Unterstützung einer internationalen Nichtregierungsorganisation wurde mit dem Argument zurückgezogen, das politische Klima in Serbien sei derzeit für eine „Gay Pride-Parade“ nicht geeignet. So mussten wir die Demonstration absagen, weil wir aus eigenen Mitteln den Schutz nicht gewährleisten können.
Gab es Hinweise auf Angriffe?
Es reicht, die zahlreichen Internetforen nationalistischer Webseiten anzusehen, die Mailinglisten faschis-tischer Organisationen zu lesen oder irgendein Fußballspiel zu besuchen. In Serbien hat sich wieder ein Isolationismus verbreitet, der keine Form des Andersseins akzeptiert. Ich selbst bin vor einiger Zeit auf der Straße angegriffen worden, nur weil ich einen Button mit einer Regenbogenfahne trug. Können Sie sich vorstellen, was passieren würde, wenn 150 oder 200 Leute mit schwul-lesbischen Fahnen auftreten würden? Die Nationalisten folgen einer Ideologie, die eine „Bestrafung” aller fordert, die die „Nation beschmutzen”. Manchmal sind das nur Gedanken im Kopf, manchmal bedeutet dies Prügel bis zum Tod.
Wie haben sich die jüngsten Unruhen im Kosovo auf die Situation ausgewirkt?
Die Gewaltausbrüche im Kosovo im März, bei denen orthodoxe Kirchen und Häuser serbischer Familien niedergebrannt wurden, wurden von Nationalisten in Serbien zur Mobilisierung genutzt. Sie nehmen die Ereignisse zum Anlass, um Angst zu schüren. Dazu kommt der neue rechtsgerichtete Nationalismus innerhalb der Regierung: Der Kulturminister hat eine Büste des nationalistisch-monarchistischen Tschetnik-Führers Draza Mihajlovic aus dem Zweiten Weltkrieg in seinem Büro stehen. Das Recht auf Abtreibung wird in Frage gestellt und so weiter. In diesem Klima gibt es wenig Raum für Anderssein und für Menschen, die kein Nationalgefühl hegen, und das ist bei der Mehrheit der politisch aktiven Lesben und Schwulen in Serbien so. Interessanterweise entstehen aus der Mobilisierung der nationalen und religiösen Mythologien auch Probleme, die man als Nicht-Nationalist gar nicht ahnen kann. Als wir vor einiger Zeit den 17. Juli als Termin für die „Gay Pride-Parade“ festlegten, haben wir nicht bedacht, dass an diesem Tag der besagte Tschetnik-Führer Draza Mihajlovic gestorben ist, oder dass am selben Tag die russische Zarenfamilie ermordet wurde, mit der sich die serbischen Nationalisten traditionell identifizieren.
Vor drei Jahren scheiterte der letzte Versuch, eine „Gay Pride-Parade“ zu veranstalten. Was ist damals passiert?
Es war einfach schrecklich. Auf der einen Seite waren wir, eine kleine Gruppe von Schwulen, Lesben und Bisexuellen, auf der anderen Seite eine Menge Hooligans, Nationalisten und Skinheads. Einer ihrer Anführer war ein Priester der serbisch-orthodoxen Kirche. Mit seinem Segen haben die Randalierer die kleine Gruppe von Schwulen und Lesben verprügelt, die sich trauten, ihre sexuelle Identität sichtbar zu machen. Die Polizei war nicht willens, zu reagieren. Niemand kam zu Tode, aber viele Leute wurden brutal zusammengeschlagen. Leider haben sich viele schwul-lesbische Aktivistinnen und Aktivisten in der Folge von politischen Aktivitäten zurückzogen. Wie sieht der Alltag von Lesben und Schwulen in Serbien aus? Sehr schwierig. Obwohl man in den vergangenen Jahren mehr über schwul-lesbische Rechte spricht, ist die Situation nicht besser geworden, besonders im Landesinneren ist es schwierig. Die jüngeren Schwulen und Lesben gehen zum Teil offensiver mit ihrer Identität um. Nicht selten passiert es, dass sie deswegen von zu Hause rausgeworfen werden. Wenn man in Betracht zieht, dass es hier ohnehin schwierig ist, eine Arbeit zu finden, eine eigene Wohnung zu bezahlen, die grundlegendsten Lebensbedingungen zu sichern, dann muss ich sagen, dass die Situation der Schwulen und Lesben sehr schwierig ist.
Haben die Kriege und sozialen Umbrüche der vergangenen Jahre das Geschlechtsverhältnis in Serbien verändert?
Zu Beginn der Kriege haben viele Menschen angefangen, ihre nationale Identität zu verändern. Es war nicht mehr möglich, einfach Jugoslawe oder Jugoslawin zu sein. Im Kriegswahnsinn wurde es vielmehr wichtig, sich einer bestimmten nationalen Seite in der auseinanderbrechenden Gesellschaft zuzuordnen. Die damaligen Politiker haben angefangen, eine neue serbische Identität zu kreieren, die sich auf angeblich traditionelle Werte beruft, aber in Wirklichkeit nur eine Maske war für die Bedürfnisse der Regierung Slobodan Milosevics. So wurde darüber gesprochen, wie ein „serbischer Hausherr“ aussehen soll. Die Stellung von Männern und Frauen in der Gesellschaft wurde neu bestimmt. Bei allem bezogen sie sich auf eine angebliche „Natürlichkeit“. Schwule und Lesben sind in diesem Kontext Personen, die die „reine serbische Nation“ beschmutzen. Auf einer Podiumsdiskussion hat ein junger Nationalist einmal gesagt, dass seine Tochter niemals Lesbe sein werde, solange in ihr „sauberes, gesundes, serbisches, männliches Blut“ fließe. Dies ist meiner Meinung nach nichts anderes als reiner Faschismus, aber leider erkennen das die Regierung und die Menschen nicht.
Interview: Claudia Lichnofsky und Boris Kanzleiter Die Autoren sind freie Journalisten und leben in Belgrad.
Boban Stojanovic ist Mitglied der Vorbereitungsinitiative der „Gay Pride-Parade“. Die Initiative will die Lage von Lesben, Schwulen, Trans- und Bisexuellen in Serbien bekannt machen und verbessern. Die Organisation PRIDE (Vereinigung für die Promotion von Menschenrechten sexuell andersartiger Personen) wurde im Sommer 2003 ins Leben gerufen. Ihr Ziel ist es, die gesetzliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher nicht-ehelicher Gemeinschaften zu erreichen.
Quelle: ai-Journal/Juli-2004